Umstrittene Gasleitung : Nord Stream 2 stärkt Europa
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Schweißarbeiten an der OPAL-Pipeline, einer Verbindung von Nord Stream mit dem deutschen Gasnetz Bild: Matthias Lüdecke
Untergräbt die geplante Gaspipeline Nord Stream 2 die europäische Solidarität? Erhöht sie unsere Abhängigkeit von Russland? Nein. Ein Gastbeitrag.
Mit Interesse haben wir in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Beitrag einiger Kollegen zu Nord Stream 2 gelesen. Darin wurde unter anderem ausgeführt, die geplante Gaspipeline untergrabe die europäische Solidarität, erhöhe die Abhängigkeit Europas von Russland und widerspreche den Zielen der europäischen Energieunion und des Energiebinnenmarktes. Wir sind der Ansicht, dass diese Ausführungen nicht haltbar sind, und wollen mit diesem Beitrag zu einer Versachlichung der Diskussion um Nord Stream 2 beitragen.
Grundgedanke jedes europäischen Erdgasprojekts muss es sein, die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit der Energieversorgung ganz Europas zu verbessern. Daher verfolgt die EU seit Jahrzehnten richtigerweise das Ziel, ihre Gasversorgung zu diversifizieren, sowohl hinsichtlich der Quellen als auch hinsichtlich der Transportwege. Je mehr Gas auf den europäischen Markt gelangt, desto höher wird dessen Liquidität. Höhere Liquidität bedeutet mehr Wettbewerb. Mehr Wettbewerb führt zu sinkenden Preisen, von denen alle Verbraucher profitieren.
Nicht im Widerspruch zur Energieunion
Ausgehend von dieser Grundregel zur Funktionsweise von Märkten wird deutlich, dass Nord Stream 2 nicht im Widerspruch zu den Zielen der europäischen Energieunion und des Energiebinnenmarktes steht. Im Gegenteil: Nord Stream 2 leistet – wie jede neue Transportpipeline – einen Beitrag zur Diversifizierung der Transportrouten und erhöht damit die Liquidität, den Wettbewerb und die Versorgungssicherheit auf dem europäischen Energiemarkt.
Die Aussage, Nord Stream mache Europa abhängiger von russischen Gaslieferungen, verkennt die heutige Situation auf dem europäischen Gasmarkt, die sich grundlegend von der vor einigen Jahren unterscheidet. Fakt ist, dass in der EU inzwischen eine Vielzahl von neuen Verbindungspipelines gebaut wurden, außerdem über 30 Terminals für Flüssiggas (LNG). Gas kann heute innerhalb der EU in alle Richtungen fließen und darf, einmal in Europa angelangt, frei auf dem europäischen Markt verkauft werden. Jede Gaslieferung nach Europa – ob aus Norwegen, den Vereinigten Staaten, Aserbaidschan, Qatar oder Russland – stärkt die Liquidität des europäischen Marktes. Dieser ist durch das hohe Angebot inzwischen ein klassischer Käufer-Markt geworden. Erpressungsversuche eines einzelnen Anbieters sind faktisch nicht mehr möglich, es gibt zu viel Gas und zu viele Lieferalternativen. Dies wird sich durch weitere in Bau oder Planung befindliche Pipeline- und LNG-Projekte (zum Beispiel den sogenannten Südlichen Gaskorridor) noch verstärken.
Ebenso wichtig ist, dass durch eine hohe Liquidität die Gaspreise nicht mehr durch einen Anbieter diktiert werden können. Ein gutes Beispiel dafür ist Litauen, wo sich der Bau des LNG-Terminals nach Aussagen der litauischen Regierung bereits vor seiner Nutzung amortisiert hatte: Aus Angst, den Markt zu verlieren, musste der damalige Monopolist Gasprom seine Preise drastisch senken. Dies zeigt, dass Russland heute von Gasexporten nach Europa stärker abhängig wird als umgekehrt Europa von russischen Gasimporten.