Neapels Abfallkrise : Die Unterwelt macht Müll zu Gold
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In Neapel sieht man vor lauter Müll die Straße nicht mehr Bild: picture-alliance/ dpa
In Italien sollen jetzt Soldaten die Müllberge aus den Straßen schaffen. Der Notstand, so meinen viele, sei das eigentliche Element der Camorra. Die nepolitanische Variante der Mafia ist zwar nicht Urheberin der Abfallberge - aber sie profitiert davon.
Wenn der italienische Umweltminister Alfonso Pecoraro Scanio von der Camorra spricht, dann nennt er sie manchmal „die Unterwelt“. Als das Kabinett von Ministerpräsident Prodi Anfang der Woche im Palazzo Chigi in Rom über die Müllberge in Neapel beriet, sagte Pecoraro: „Der Staat weicht nicht zurück vor der Arroganz der Unterwelt.“ Anschließend forderte der Umweltminister „eine starke Aktion des Staates gegen die Camorra“, also gegen die neapolitanische Variante der Mafia.
Wenn es denn so einfach wäre. Denn die Diener der Unterwelt paktieren im Süden Italiens so selbstverständlich und einvernehmlich mit den Angestellten der Welt der Wirtschaft und der Politik, dass es vielen kaum wie ein Pakt mit dem Teufel erscheinen mag. „Die Clans brauchen weder mit den Politikern einen Blutpakt zu schließen noch sich mit politischen Parteien zu verbünden“, schreibt Roberto Saviano. Der Schriftsteller ist 1979 in Neapel geboren, und weil sein Bestseller „Gomorrha“ aus dem Jahr 2006 von der Camorra handelt und mit einem langen Müll-Kapitel endet, ist Saviano für italienische Zeitungen in diesen Tagen der Mafia-Fachmann überhaupt.
Die Politik hat versagt
Saviano sieht die sogenannten Stakeholder als wichtigstes Rädchen im System der italienischen Müllentsorgung: Damit für Politik und Wirtschaft alles schön diskret ablaufe, würden diese Vermittler bei Industrieunternehmen vorstellig und legten ihre Preisliste vor. Dabei spiegelten sie vor, nicht etwa eine kriminelle Dienstleistung anzubieten - auch dann, wenn sie für einen Entsorgungsbetrieb der Camorra arbeiteten. Anschließend stellten sie - gegen prozentuale Beteiligung an den Kosten für die Verträge - den Kontakt zu den Entsorgungsbetrieben her.
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Die Preise jener Stakeholder, die mit einem Clan zusammenarbeiteten, seien die günstigsten, zumal der Mülltransport immer schon inbegriffen sei. Das gehe schon seit Jahrzehnten so: Die Entsorgungs-Anbieter füllten die Deponien Kampaniens zu Dumpingpreisen mit Müll. Jetzt sind die Deponien voll oder geschlossen, eine seit Jahren geplante Verbrennungsanlage ist nicht fertig. Das liegt weniger an der Camorra als am Versagen der italienischen Politik, wobei diese sich nicht ganz einig darüber ist, wo die Schuldigen sitzen: in Neapel oder in Rom.
Der Notstand kurbelt die Geschäfte an
Die angesichts der Krise schon mehrfach zum Rücktritt aufgeforderte Bürgermeisterin von Neapel, Rosa Russo Iervolino, wirft Ministerpräsident Prodi jedenfalls vor, seit einem Jahr von der sich verschärfenden Lage gewusst und dennoch nicht gehandelt zu haben. Die Camorra aber scheint auch in dieser neuen Situation, in der Soldaten statt Müllmännern Plastiksäcke wegschaffen, auf Profit zu rechnen.
Denn der Notstand, so meinen viele, sei das eigentliche Element der Camorra. „Wo ein Notstand ist, da ist auch das organisierte Verbrechen“, sagte Franco Roberti, Leiter der Gruppe „Anticamorra“ der Staatsanwaltschaft Neapel, der Zeitung „La Repubblica“. Für die Camorra seien Geschäfte mit dem Abfall grundsätzlich wenig riskant und besonders einträglich, „weil der Abfall ein Dauernotstand ist“.