Wegen angeblichen Betrugs : Nawalnyj muss weitere neun Jahre in Haft
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Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalnyj während einer Anhörung zu einem Antrag des russischen Strafvollzugsdienstes im Februar Bild: dpa
In einem als politische Inszenierung kritisierten Verfahren ist Putin-Gegner Alexej Nawalnyj wegen angeblichen Betrugs zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. Mit besonders harten Haftbedingungen.
Alexej Nawalnyj soll weitere neun Jahre in Haft. Ein Moskauer Gericht, dessen Richterin Margarita Kotowa den Prozess in Nawalnyjs Strafkolonie in Pokrow hundert Kilometer östlich der Hauptstadt führte, sprach den wichtigsten Gegner von Präsident Wladimir Putin am Dienstag wegen Betruges in einem besonders schweren Fall und wegen mangelnden Respekts vor einem Gericht schuldig. Nawalnyj, der seit Anfang vorigen Jahres in einer Pokrower Strafkolonie „allgemeinen Regimes“ festgehalten wird, soll die neue Haftstrafe in einem Straflager „strengen Regimes“ verbüßen. Solche sind für gefährliche Verbrecher vorgesehen, die isoliert werden sollen; sie dürfen weniger Geld für Essen und Bedarfsgüter ausgeben, weniger Besuch ihrer Angehörigen empfangen und weniger Päckchen erhalten. Zudem verurteilte Kotowa Nawalnyj zu einer Geldstrafe von umgerechnet gut 10.300 Euro.
Nawalnyj gilt als Russlands wichtigster politischer Gefangener. Seine aktuelle Haftstrafe aufgrund eines Verfahrens, für das Russland vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verurteilt wurde, läuft im Sommer kommenden Jahres ab. Die Betrugsvorwürfe gegen Nawalnyj ranken sich um seine im vergangenen Jahr als „extremistisch“ verbotenen Strukturen, seiner Stiftung zum Kampf gegen Korruption und „Stäbe“ genannte Vertretungen in Dutzenden Regionen Russlands.
Einen Teil der Spenden, aus denen die Arbeit dieser Organisationen finanziert wurde, habe Nawalnyj für eigene Zwecke abgezweigt, so der Vorwurf. Allerdings hatte die Anklage nur vier angebliche Geschädigte aufgeboten, von denen zwei, wie Nawalnyjs Mitstreiter herausfanden, mit dem Sicherheitsapparat verbunden sind und die beiden anderen unter dem Druck von Strafverfolgungen standen. Einer dieser beiden hatte im Prozess gesagt, er habe keine Vorwürfe gegen Nawalnyj.
„Absurde und inszenierte Betrugsvorwürfe“
Richterin Kotowa stütze sich nun aber auf die Aussagen im Ermittlungsverfahren. Im Prozess hatte einer früherer Mitarbeiter von Nawalnyj Stiftung, den die Anklage als Zeugen aufbot, die Betrugsvorwürfe als „absurd und inszeniert“ zurückgewiesen, hatte von Drohungen des Ermittlers berichtet und bald nach dem Auftritt in Pokrow Russland verlassen; am Dienstag veröffentlichten Nawalnyj Mitstreiter Tonaufzeichnungen, die Druck auf den Zeugen dokumentieren. Richterin Kotowa, berichtete das Newsportal „Mediasona“ nun, zitierte im Urteil aber nur Aussagen, die der Zeuge offenkundig unter Druck vor dem Prozess gemacht hatte, und übernahm ansonsten die Formulierungen der Anklage, die vorige Woche 13 Jahre Haft mit „strengem Regime“ gefordert hatte.
Nawalnyjs Verteidiger hatten fast dreißig Spender der Stiftung zum Kampf gegen Korruption geladen, die bezeugten, dass sie freiwillig Geld gegebenen hätten und die Arbeit der Strukturen transparent gewesen sei. Nawalnyj selbst sagte im Prozess, er habe seine Strukturen geschaffen, „weil ich diese Macht hasse. Ich halte sie für widerwärtig und diebisch.“ Die Vorwürfe um mangelnden Respekt vor einem Gericht stammen aus einem anderen Strafprozess, der vor einem Jahr in Moskau stattfand. Dorthin war Nawalnyj im Januar 2021 aus Deutschland zurückgekehrt, wo er wegen seiner knapp überlebten Vergiftung mit dem Kampfstoff Nowitschok vom August 2020 behandelt worden war.
Der Zugang in den Sitzungssaal, zu dem die Aula der Strafkolonie gemacht wurde, war stark beschränkt; nur wenige Journalisten erhielten Zugang, die meisten wurden in zwei Nebenräumen vor Bildschirmen platziert, wobei die Tonübertragung schlecht war. Zur Urteilsverkündung, zu der laut „Mediasona“ rund hundert Medienvertreter gekommen waren, erhielt demnach zunächst kein einziger von ihnen Zutritt in den Saal, erst später, nach einer Pause. Der Bildschirm zeigte Nawalnyj mit zahlreichen Sicherheitsmännern in grauem Flecktarn mit schwarzen Schutzwesten, wobei auch dieses Mal die Tonübertragung immer wieder abbrach.
Nawalnyj wichtigste Mitstreiter sind mittlerweile alle im Exil; mehreren, die in Russland geblieben sind, drohen Haftstrafen als „Extremisten“. Aus dem Exil stimmten Nawalnyjs Antikorruptionsjäger auf ihre Weise auf die Urteilsverkündung ein: Sie ordneten Putin nun eine neue Motoryacht zu. Der Wert des 140-Meter-Schiffes, das im westitalienischen Marina di Carrara vor Anker liege, betrage 700 Millionen Dollar.
Die von der Bremer Werft Lürssen gebaute, 2020 vom Stapel gelaufene „Scheherazade“ sei auf eine Gesellschaft auf den Marshall-Inseln zugelassen, der Eigentümer offiziell unbekannt. Allerdings arbeiteten – so die von Nawalnyjs Leuten zitierte Besatzungsliste – auf dem Schiff etliche Mitarbeiter des Geheimdiensts FSO, der vor allem für Putins Sicherheit zuständig ist. Derselbe Dienst bewacht auch den Palast nahe Gelendschik an der Schwarzmeerküste, den Nawalnyjs Leute Anfang vorigen Jahres Putin zuordneten. Sie forderten nun mit Blick auf die EU-Sanktionen, die nach dem Überfall auf die Ukraine auch gegen Putin persönlich verhängt wurden, die „Scheherazade“ unverzüglich zu beschlagnahmen.
Putin hat vorige Woche per Erlass die Richterin, die nun das Urteil gegen Nawalnyj verkündete, befördert: Statt an einem Moskauer Bezirksgericht arbeitet Kotowa künftig am Moskauer Stadtgericht. Nawalnyj Mitstreiter legten unter Berufung auf die Verbindungsdaten der Richterin dar, dass sie während des Prozesses immer wieder mit einem Mitarbeiter der Präsidialverwaltung telefonierte. Nawalnyj hatte Kotowa in seinem Schlusswort am Dienstag voriger Woche gefragt, ob es sie nicht erniedrige, eine Richterin zu darzustellen, wenn sie doch „in Wirklichkeit ein Gerät sind, das dafür existiert, das zu übermitteln, was man Ihnen am Telefon sagt“. Auch hatte Nawalnyj gesagt, der Krieg gegen die Ukraine vergrößere die Gefahr eines Auseinanderfallens Russlands. „Viel besser ist es, ein freier Mann Gottes zu sein, als ein Putin-Kriecher, den die Teufel in der Hölle braten werden.“