Schwedens NATO-Bewerbung : „Die Türkei will Dinge, die wir nicht geben können“
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Wies erstmals Forderungen Ankaras zurück: der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson am 8. Januar 2023 in Stockholm. Bild: AP
In Stockholm wachsen die Ungeduld und die Frustration über das Vorgehen Ankaras bei der Frage des NATO-Beitritts. Ministerpräsident Kristersson weist erstmals öffentlich türkische Forderungen zurück.
In der kleinen Ortschaft Sälen in Westschweden kommen jährlich Politiker, Militärs und Fachleute für die „Nationalkonferenz“ zusammen. Debattiert wird über Sicherheits- und Verteidigungspolitik, in diesem Jahr – noch bis diesen Dienstag – vor allem über die Folgen des russischen Angriffskrieges und über Schwedens Antrag für eine NATO-Mitgliedschaft.
Diesen hat das Land schon im Mai 2022 gemeinsam mit Finnland gestellt. NATO-Mitglied sind die Länder aber noch nicht. Ungarn und die Türkei haben die Anträge bisher nicht ratifiziert.
Stockholm bemühte sich lange
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hatte angekündigt, dass das Parlament in Kürze dem NATO-Beitritt der beiden Länder zustimmen werde. Ankara hingegen knüpft seine Zustimmung an sehr weitreichende Maßnahmen, die dem Sicherheitsbedürfnis der Türkei Rechnung tragen, unter anderem an die Auslieferung von „Exil-Terroristen“.
In Stockholm zeigte man sich lange bemüht, auf Ankara einzugehen: Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson besuchte kurz nach seinem Amtsantritt den türkischen Präsidenten; im Juni wurde ein Memorandum unterzeichnet, in dem sich Schweden und Finnland unter anderem verpflichten, „Maßnahmen“ im Sinne des türkischen Sicherheitsinteresses umzusetzen; auch stimmte das schwedische Parlament für umstrittene Verfassungsänderungen, die unter anderem einen besseren Schutz vor Spionage bewirken sollen und die als Entgegenkommen bewertet wurden.
Nun aber wies Kristersson erstmals Forderungen der Türkei zurück. Die Türkei habe bestätigt, dass „wir getan haben, was wir gesagt haben, aber sie sagt auch, dass sie Dinge will, die wir ihr nicht geben können oder wollen“, sagte Kristersson am Sonntag in Sälen. Auf welche Forderungen er sich bezog, sagte er nicht.
Mutmaßlich dürfte es dabei aber vor allem um die Auslieferungsanträge gehen. Regierungsnahe türkische Medien hatten Listen von Personen veröffentlicht, deren Auslieferung die Regierung demnach mit dem Argument fordert, sie seien Mitglieder der Gülen-Bewegung oder der Terrororganisation PKK. Fast alle Personen auf der Liste haben jedoch eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in Schweden oder gar die schwedische Staatsbürgerschaft.
Kristerssons Äußerungen seien Ausdruck der wachsenden Ungeduld Schwedens, sagt dazu Magnus Petersson, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Stockholm. Erstmals habe der Ministerpräsident die schwedischen Beschränkungen öffentlich deutlich gemacht.
Kristerssons Worte spiegelten eine wachsende Frustration innerhalb der schwedischen Regierung über das Vorgehen Ankaras, sagt auch Kjell Engelbrekt, Professor an der Schwedischen Universität für Verteidigung. Er sieht jedoch weiterhin Spielraum für Verhandlungen. Bei mehreren Punkten des Memorandums zwischen der Türkei, Finnland und Schweden gebe es Annäherungen oder gar Lösungen, sagt Engelbrekt.
Auslieferungen wohl Haupthindernis
So sei die Frage der Abschaffungen von Waffenembargos gelöst; hilfreich bei dem Punkt des Memorandums hinsichtlich des Umgangs mit extremistischen Organisationen wie der PKK wiederum sei, dass die rechtskonservative schwedische Regierung hier einen deutlich klareren Kurs des Abstands verfolge als frühere schwedische Regierungen.
Ein Hindernis sieht Engelbrekt bei der Verpflichtung der drei Staaten, gegen Desinformation vorzugehen. Gerade bei Fragen der Pressefreiheit gebe es zwischen der Türkei und Schweden, das seit 1766 ein Presserecht besitzt, gravierende Unterschiede.
Haupthindernis ist jedoch laut Engelbrekt weiterhin die Frage der Auslieferung von Terrorverdächtigen. „Die schwedische Regierung ist hier weder willens noch in der Lage die eigene Verfassung zu unterminieren“, sagt Engelbrekt. An diesem Punkt werde sich Schweden nicht bewegen. Akzeptiere das die Türkei nicht, werde das zu einer Krise auch mit den anderen demokratischen NATO-Mitgliedern führen, so Engelbrekt.
Ungeachtet des Dissenses mit der Türkei rechnet NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit einem Beitritt Schwedens und Finnlands zum Verteidigungsbündnis in diesem Jahr. „Jetzt ist die Zeit gekommen“, sagte Stoltenberg am Montag der Zeitung „Aftonbladet“. Schweden habe das Abkommen erfüllt.
In Folge der Bewerbung für die NATO-Mitgliedschaft sei Schweden heute schon ein „sichererer Staat“, mehrere NATO-Staaten hätten Sicherheitsgarantien abgegeben für das Land, auch habe die NATO ihre Präsenz in der Region verstärkt. Es sei „unvorstellbar“, dass Schweden Bedrohungen ausgesetzt sei und die NATO nicht reagiere, so Stoltenberg.