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Stellvertreterarmeen im Nordirak : Kurde gegen Kurde

  • -Aktualisiert am

Fordernd: PKK-Führer Cemil Bayik Bild: Markus Bickel

Die PKK wirft den Peschmerga vor, kampflos vor den Dschihadisten geflohen zu sein. Sie will Waffen aus dem Westen - und gibt sich als letztes Bollwerk vor dem „Islamischen Staat“.

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          Die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, dient sich Europa als Stellvertreterarmee im Kampf gegen die Dschihadisten des „Islamischen Staats“ im Irak und in Syrien an. „Der ,Islamische Staat‘ stellt nicht nur eine Bedrohung für die Kurden und den Nahen Osten dar, sondern auch für Europa“, sagt Cemil Bayik, der Kovorsitzende der KCK, der politische Arm der PKK, gegenüber dieser Zeitung. Die PKK wird in der EU und den Vereinigten Staaten als Terrororganisation eingestuft. Bayik sagt, die PKK und ihre bewaffneten Verbündeten in Syrien hätten gezeigt, dass sie „am wirksamsten gegen die Terrorgruppe vorgehen“ könnten. In einem Rückzugsgebiet der PKK im irakischen Kandil-Gebirge erklärt Bayik, Europa dürfe nicht den Fehler machen, „Beziehungen nur zu einem Teil Kurdistans zu pflegen“, sondern müsse „mit allen Parteien zusammenarbeiten“, vor allem auch seiner.

          Bayik gehört zu den Gründungsmitgliedern der PKK und ist nach deren inhaftiertem Führer Abdullah Öcalan ihr wichtigster Vertreter. Er bezeichnet die Kurden als „entscheidenden Faktor für die Zukunft“ der Region. Die Bundesregierung und andere europäische Staaten müssten zudem Druck auf Ankara ausüben, dass die Türkei Kämpfern des „Islamischen Staats“ den Transit über türkisches Territorium verwehre. Zudem verlangt Bayik, dass Ankara die angebliche Ausbildung der Dschihadisten durch türkische Geheimdienste beende. Nur so ließe sich ein weiteres Erstarken der Terroristen verhindern.

          In Syrien kämpft der militärische Arm der PKK-Schwesterorganisation PYD seit mehr als einem Jahr gegen den „Islamischen Staat“. Zum Schutz der irakisch-kurdischen Autonomieregion sind in den vergangenen zwei Wochen Hunderte syrisch-kurdischer, türkisch-kurdischer und iranisch-kurdischer Kämpfer aus dem Kandil-Gebirge an die Front vorgestoßen. Die dem Präsidenten der kurdischen Autonomieregion, Massud Barzani, unterstellten Peschmerga zogen sich kampflos aus dem Gebiet nahe der syrischen Grenze zurück. Dieses Gebiet gehört indes nicht zur Autonomieregion, sondern untersteht der Kontrolle der irakischen Armee. Die Peschmerga waren daher dort nur mit wenigen Soldaten und wenig Waffen. Bayik aber sagt: „Bis heute haben wir von der Regierung in Arbil keine klare Antwort für die Gründe des Abzugs erhalten.“ Er erhebt schwere Vorwürfe. Das Vorgehen der Peschmerga werfe die Frage auf, ob die nach Unabhängigkeit strebende irakische Kurdenführung die Massaker an Hunderten Angehörigen der Yeziden bewusst in Kauf genommen habe, um den Westen zu einem Eingreifen zu zwingen.

          Bayik bringt PKK-Einheiten in Stellung

          Berichte über einen kampflosen Rückzug der irakisch-kurdischen Peschmerga gibt es nicht nur aus der nordwestirakischen Yeziden-Hochburg Sindschar, sondern offenbar selbst aus den Städten Makhmur und Kirkuk. Peschmerga-Kommandeure hätten auch das Flehen vieler Bewohner ignoriert, ihnen Waffen zu überlassen, um sich selbst gegen die Dschihadisten zu verteidigen. „Wenn wir in Sindschar nicht interveniert und einen sicheren Korridor erkämpft hätten, wäre die Gegend vollständig unter Kontrolle des ,Islamischen Staats‘ geraten und kein Yezide hätte überlebt“, sagt Bayik. Weil sie sich von der irakischen Kurdenregierung in Arbil nicht mehr geschützt fühlen, haben die im Sindschar-Gebirge verbliebenen Yeziden begonnen, eigene Einheiten aufzubauen - unter Anleitung der syrisch-kurdischen „Volksverteidigungseinheiten“ YPG. „Wir helfen ihnen, sich so aufzustellen, dass sie allein gegen den ,Islamischen Staat‘ kämpfen können.“ Bayik sagt, er habe Barzani zwei Wochen vor dem Angriff des „Islamischen Staats“ auf Sindschar gewarnt: „Statt ihr Versprechen einzuhalten, die Bevölkerung zu schützen, haben sich die Peschmerga zurückgezogen, ohne auch nur einen einzigen Schuss abzugeben.“ Auch in den Städten Kirkuk und Makhmur, die direkt an das Herrschaftsgebiet des „Islamischen Staats“ angrenzen, sind Kräfte der „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der PYD und HPG der PKK stationiert, um mögliche Angriffe der Dschihadisten zurückzuschlagen. In Khanaqin an der Grenze zu Iran schützen zudem iranisch-kurdische Kämpfer die Bevölkerung.

          Bayik sagt, die Staaten der EU seien gut beraten, beim Kampf gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien auf die YPG zu setzen. Die Miliz verteidigt die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete im Norden Syriens seit zwei Jahren gegen die Dschihadisten - zunächst gegen die islamistische Nusra-Front und nach deren Spaltung im Frühjahr 2013 gegen den „Islamischen Staat“. Auch in den vergangenen Tagen kam es u schweren Kämpfen zwischen YPG-Milizionären und Einheiten des „Islamischen Staats“ in der Provinz Hasaka sowie südlich der syrischen Kurdenhauptstadt Qamischli. In Syrien ließe sich der „Islamische Staat“ nur besiegen, wenn „jene Kräfte mit Waffen ausgestattet werden, die am wirksamsten gegen die Terrorgruppe vorgehen“, sagt Bayik. Er meint seine Organisation und verweist auf die Erfolge der YPG, die seit zwei Jahren dem Druck der Dschihadisten standhalte und mit ihrem Eingreifen im Nordirak „das Überleben der Autonomieregion gesichert“ habe. Zudem sei die YPG der einzige militärische Verband, der wirksam gegen das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al Assad kämpfe. Sollte der Westen sich dazu entscheiden, weiter allein auf Barzanis Peschmerga zu setzen, berge das die Gefahr, dass die Waffen am Ende in den Händen der Dschihadisten landeten, sagt Bayik.

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