
Protestbewegung in Ägypten : Revolution nach Plan
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Aus Fehlern gelernt: Die junge Demokratiebewegung in Kairo war erfolgreich Bild: dapd
Die Initiatoren der Proteste in Ägypten hatten sich zuvor mit Mitstreitern aus Tunesien und einer Gruppe von erfahrenen Aktivisten in Serbien beraten - vor allem über das Internet. Sie folgten einer über lange Zeit entwickelten Strategie.
Über Jahrzehnte war es stets das gleiche Bild: Die ägyptische Polizei löste in Kairo rasch jede Demonstration auf, das Regime erstickte jeden Protest im Keim. Nun aber hat eine Jugendbewegung nach 18 aufreibenden Tagen ein Regime hinweggefegt, das seit der Revolution von 1952 geherrscht hatte. Einer der Muslimbrüder sagte auf dem Tahrir-Platz, immer habe er geglaubt, Gott habe die Muslimbruderschaft beauftragt, das Regime zu stürzen. Nun aber sehe er, dass Gott damit die säkulare Jugend beauftragt habe. Offenbar müssten die Islamisten bescheidener sein und diese säkulare Jugend als Partner akzeptieren, leitete er daraus ab.
Zwei Faktoren bescherten der jungen Demokratiebewegung den Erfolg, der anderen zuvor versagt geblieben war: Sie hatte erstens aus den Fehlern früherer Proteste gelernt, und zweitens von den Erfahrungen der Protestbewegung in Tunesien. In beiden Fällen spielten die neuen Medien die zentrale Rolle - und auch hier waren die islamistischen Muslimbrüder nicht auf der Höhe der Zeit. Issam el Eryan, einer Führer der Muslimbruderschaft, hatte das Fernbleiben seiner Organisation von den Protesten, die am 25. Januar begonnen hatten, damit begründet, dass man sich nicht an eine virtuelle Welt binden wolle, deren Mitglieder man ja nicht persönlich kenne.
Auf dem Tahrir-Platz waren es schon 20.000
Die Großmutter aller Proteste waren die Brotunruhen von 1977. Aktivisten, die schon an diesen beteiligt waren, fanden sich 2004 unter Führung des pensionierten Lehrers George Ishaq in der Mutter der heutigen Demokratiebewegung wieder: in der Bewegung in „Kifaya“ (genug!), die ein Ende der Herrschaft Mubaraks forderte. Ihre Kundgebungen fanden jedoch nur in Kairos Innenstadt statt. Selten waren es mehr als hundert Demonstranten, und diese sahen sich dabei meist einer schwer bewaffneten Phalanx von mehreren hundert Bereitschaftspolizisten gegenüber. Da diese wegen ihrer Brutalität berüchtigt waren, wurden nie mehr Demonstranten mobilisiert.
Eine Lektion sei gewesen, die Kundgebungen nicht in der Innenstadt beginnen zu lassen, sondern in der Peripherie Kairos, sagt Shadi Ghazali, der 32 Jahre alt ist, Chirurg und Spezialist für Lebertransplantationen. Die Kundgebung von 25. Januar habe daher im Arbeiterviertel Nahya begonnen. Als der Zug im Mittelklasseviertel Mohandessin ankam, war er auf 6000 Demonstranten angewachsen, auf dem Tahrir-Platz waren es dann schon 20.000. So viele waren nie zuvor bei einer nicht genehmigten Kundgebung auf dem Platz gewesen. „Von da an wussten wir, dass wir Mubarak stürzen können“, sagt Ghazali.
Dass sie so weit gekommen sind und sich auf dem Weg neue Demonstranten angeschlossen haben, verdanken sie den Probeläufen, welche die Organisatoren während des vergangenen Jahres gestartet hatten. Sie prüften verschiedene Taktiken und Techniken der Mobilisierung, auch Maßnahmen der Verteidigung gegen Übergriffe der Polizei bei kleineren Kundgebungen in einzelnen Stadtteilen.
Auf den 25. Januar hatten sich die Vertreter von zehn Oppositionsgruppen als Tag der Kundgebung geeinigt, weil er der „Tag der Polizei“ war und ein staatlicher Feiertag. Die Polizei hatte im Juni 2010 in Alexandria den bekannten Blogger Chaled Said zu Tode geprügelt. Dagegen wollten die Demonstranten ein Zeichen setzen.
Wertvolle Erfahrungen in Straßenschlachten
Am 18. Januar trafen sich die zehn Organisatoren in einer privaten Wohnung und bereiteten den 25. Januar vor - am 14. Januar war Ben Ali aus Tunesien geflohen. Die erfolgreiche Revolte in Tunesien hatte sie inspiriert. „Da wussten wir, dass mehr möglich war als eine Kundgebung“, sagt Ghazali. „Wir wollten eine Revolution.“ Dazu lernten sie von ihren jugendlichen Mitstreitern in Tunesien. Die ägyptische Polizei hatte die Demonstranten in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar vom Tahrir-Platz mit Tränengas und anderen Mitteln vertrieben. Die Tunesier wussten noch in der gleichen Nacht Rat: „Mit Essig oder Zwiebeln unter dem Gesichtsschutz könnt Ihr das Tränengas neutralisieren“, schrieben sie. Auch lernte die ägyptische Bewegung von den Tunesiern, wie sie sich im Straßenkampf mit der Polizei am besten verhält.
Seit zwei Jahren hatten sich Tunesier und Ägypter schon über die Internetplattform Facebook ausgetauscht - auch innerhalb Ägyptens berieten sich die Aktivisten und spornten sich gegenseitig an. Sie nahmen Kontakt zu den kampferprobten berüchtigten „Ultras“ des Fußballklubs al Ahli auf. Diese sind zwar unpolitisch, aber sie hatten in zahlreichen Straßenschlachten mit der ägyptischen Polizei wertvolle Erfahrungen gesammelt. Während der Kämpfe auf dem Tahrir-Platz sicherten mehr als zehntausend von ihnen vor allem den östlichen Teil des Tahrir-Platzes.
Die „Bewegung des 6. April“ übernahm das Logo von Otpor
Die Demonstranten selbst waren friedlich und unbewaffnet. Am blutigen Mittwoch, den 2. Februar sahen sie sich hilflos Horden von Schergen des Regimes gegenüber, die über Stunden, auf Pferden und Kamelen reitend, mit Pistolen und Macheten ein Gemetzel anrichteten. Ghazali erzählt, wie ihm, dem Chirurgen, bei den Straßenkämpfen zwei schwer verletzte Demonstranten unter den Händen starben. Am nächsten Tag wurde er mit neun anderen Aktivisten verhaftet, vom militärischen Geheimdienst verhört und über eine angebliche Verschwörung des Auslands gegen Ägypten ausgefragt. Im Verhör sei ihnen klar geworden, dass auch der militärische Geheimdienst den Rücktritt Mubaraks als unausweichlich sah. Nach 48 Stunden wurde die Gruppe wieder auf freien Fuß gesetzt.
Die Aktivisten hatten auf gewaltfreien Protest gesetzt und waren dabei auf die serbische Jugendbewegung Otpor gestoßen, die in Serbien am Sturz des Diktators Milosevic beteiligt war und sich vom amerikanischen Politologen Gene Sharp hatte inspirieren lassen. Der hatte den gewaltfreien Widerstand als Mittel entwickelt, um Polizeistaaten zu untergraben. Die „Bewegung des 6. April“, die der Blogger und Kifaya-Aktivist Ahmad Maher ins Leben gerufen hatte, übernahm sogar das Logo von Otpor. Maher hatte im Internet über die gewaltsam niedergeschlagenen Arbeiterstreiks vom 6. April 2008 im ägyptischen Mahalla al Kubra berichtet.
Facebook mobilisiert die Protestbewegung
Einige aus der Gruppe des 6. April trafen in Belgrad mit Otpor-Aktivisten zusammen. Noch hatten sich Leute wie Maher angesichts der ernüchternden Erfahrungen in vergangenen Protesten von der Straße an den Computer zurückgezogen. Dort aber tauschten sie sich mit Aktivisten in Tunesien aus. Wenige Monate nach den Streiks von Mahalla al Kubra lies sich eine Gruppe, die sich nach Streiks im tunesischen Haud al Mongami bildete und „die fortschrittliche Jugend Tunesiens“ nannte, von Ahmad Maher über politischen Internet-Aktivismus beraten.
Inspiriert von Gene Sharp gründeten junge Auslandsägypter in Qatar die „Akademie des Wandels“. Ihre Mitglieder trainierten die ägyptischen Aktivisten in der Woche bis zum 25. Januar. Einen wichtigen Impuls erhielten die zehn Gruppen, die sich in der „Koalition der Jugend für die ägyptische Revolte“ zusammengeschlossen hatten, als sich ihr vor einem Jahr der 31 Jahre Auslandsägypter Wael Ghonim anschloss, der in Dubai bei Google-Marketingchef für den Nahen Osten ist. Er arbeitete eng mit der „Bewegung des 6. April“ und dem Oppositionspolitiker Mohammed El Baradei zusammen und richtete mit seiner Marketingexpertise die Facebookgruppe „Wir sind all Chaled Said“ ein. Über sie erfolgte maßgeblich die Mobilisierung der Protestbewegung, die zum Sturz Mubaraks führte.
Nach fünf Stunden war der Tahrir-Platz erobert
Dass die jungen Demonstranten die fünf Stunden lange Schlacht gegen die Polizei am 28. Januar, dem „Tag des Zorns“, gewannen, lag entscheidend an den Ratschlägen aus Serbien und Tunesien. Mit Zwiebeln und Essig neutralisierten Aktivisten das Tränengas, mit Milch und Mineralwasser reinigten Demonstranten ihre Augen, sie trugen verborgene Schutzkleidung, sie warfen Farbbeutel auf die Scheiben der Polizeiautos und die Schutzschilde der Polizisten, um ihnen die Sicht zu nehmen. Nach fünf Stunden hatten sie den Tahrir-Platz erobert und erzwangen von dort Mubaraks Rücktritt.
Nun teilen die ägyptischen Aktivisten über Facebook und andere neue Medien ihr Wissen mit Mitstreitern in Algerien, Libyen und Marokko, im Jemen und in Syrien - selbst in Iran. „Wenn Gruppen wie unsere in anderen Ländern auf die Straße gehen und sie ausdauernd sind wie wir, könnte dies das Ende aller Regime bedeuten“, sagt Walid Raschid von der Bewegung des 6. April.