Neue EU-Sanktionen : Syrische Opposition streitet über Bewaffnung
- -Aktualisiert am
Homs ist noch immer unter Beschuss Bild: REUTERS
In Syrien sind nahe der Protesthochburg Homs nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten am Montag mehr als 60 Zivilisten getötet worden. Die syrische Opposition streitet weiterhin darüber, ob sie sich bewaffnen lässt oder nicht.
Der Syrische Nationalrat hat Erwartungen westlicher und arabischer Staaten enttäuscht, er könne Präsident Assads Gegner einen. Am Montag gründeten mehr als 20 der 270 Gründungsmitglieder des Rats eine „Syrische Patriotische Gruppe“. Sie wollen sich dafür einsetzen, dass die vor allem aus Deserteuren bestehende „Freie Syrische Armee“ mit Waffen versorgt wird. Der Schritt sei eine Reaktion auf die enttäuschende Rede des Vorsitzenden des Nationalrats, Burhan Ghalioun, beim Treffen der „Freunde Syriens“ am Freitag in Tunis, sagte das Gründungsmitglied Fawaz Tello dieser Zeitung in Kairo.
In Syrien trugen Demonstranten am Wochenende Transparente mit Aufschriften wie: „Der saudische Außenminister vertritt uns besser als Ghalioun.“ Der saudische Außenminister hatte in Tunis energisch die Bewaffnung der Aufständischen gefordert. Vorsitzender der neuen „Syrischen Patriotischen Gruppe“ ist der 82 Jahre alte Anwalt und Menschenrechtsaktivist Haitham Maleh, der nach wie vor in Damaskus lebt. Die Gründer der „Syrischen Patriotischen Gruppe“ wollen dem Nationalrat weiterhin angehören. Man wolle diesen nicht zerstören, sondern „effektiver und realistischer“ werden lassen, sagte Tello, der bis vor einem Monat ebenfalls in Damaskus lebte und am Freitag zu den Vertretern des Nationalrats bei der Syrien-Konferenz in Tunis zählte.
Menschenrechtsaktivisten: Viele Zivilisten getötet
Derweil wurden am Montag nahe der Stadt Homs, die als ein Zentrum des Protests gilt, nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten mehr als 60 Zivilisten getötet. Bewaffnete Männer hätten die Zivilisten auf einem Feld zwischen den Orten Ram al Ans und al Ghadscharije in der Provinz Homs angegriffen, teilte die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Sie sprach von einem „Massaker“.
Die Leichname der Opfer seien in ein Krankenhaus in Homs gebracht worden. Sie wiesen Schusswunden sowie Verletzungen durch Stichwaffen auf. Möglicherweise handele es sich bei den Opfern um Vertriebene aus der seit Wochen unter Beschuss der Armee stehenden Stadt Homs, die von Milizen der Regierung getötet worden seien, teilte der Chef der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman, mit. Dies sei aber noch nicht bestätigt. Er forderte die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission.
Streit in syrischer Opposition
Die EU-Außenminister, die am Montag in Brüssel die Sanktionen gegen Syrien verschärften, werteten den Syrischen Nationalrat diplomatisch auf, indem sie ihn als „eine legitime Vertretung“ der syrischen Demokratiebewegung anerkannten. Die Außenbeauftragte Ashton wies darauf hin, dass die EU die verschiedenen Oppositionskräfte in Syrien aufgefordert habe, sich zusammenzuschließen. Der dänische Außenminister Sovndal sprach sich gegen Waffenlieferungen an die Opposition aus. Es gebe schon zu viele Waffen im Land, es müsse stattdessen politischer Druck auf das Regime ausgeübt werden.
Das syrische Regime gab bekannt, dass bei dem Referendum am Sonntag 89,4 Prozent der Wähler dem Entwurf einer neuen Verfassung zugestimmt hätten. Die Beteiligung lag nach diesen Angaben bei 57,4 Prozent. Der russische Außenminister Lawrow lobte das von Assad dekretierte Verfassungsreferendum als „Schritt in Richtung Demokratie“. Die amerikanische Außenministerin Clinton sprach dagegen von einem „zynischen Trick“ des Regimes. Der deutsche Außenminister Westerwelle sagte: „Nach der Farce eines Referendums, das mit Demokratie nichts zu tun hat, ist es richtig und wichtig, dass wir in Europa neue und schärfere Sanktionen gegen das Regime in Syrien beschlossen haben.“ Die neuen Strafmaßnahmen treten an diesem Dienstag in Kraft. Die EU-Außenminister beschlossen erwartungsgemäß, die Guthaben der syrischen Nationalbank in der EU einzufrieren (nur für legalen Handel dürfen sie unter strikten Auflagen weiter verwendet werden), sieben Minister mit Einreiseverboten und Kontosperren zu belegen, syrische Frachtflüge nach Europa zu untersagen sowie den Handel mit Gold, Edelsteinen und Diamanten auszusetzen. Die EU hatte in den vergangenen Monaten schon zahlreiche Sanktionen gegen Syrien verhängt, zu denen auch ein Ölimportverbot gehört.
Mehrere Minister hoben in Brüssel hervor, dass ein militärisches Eingreifen nicht vorgesehen sei. Der Brite Hague nannte als Grund vor allem das Fehlen einer Resolution des UN-Sicherheitsrats, was ein großer Unterschied zu Libyen sei. Der Niederländer Rosenthal sagte, es werde geprüft, ob „zu einem bestimmten Zeitpunkt“ eine Friedensmission nach Syrien entsandt werden könne. Dazu müsse aber erst einmal Frieden herrschen. Vor allem das Golf-Emirat Qatar wirbt dagegen weiterhin für eine ausländische Militärintervention. „Wir müssen genug Militärs in das Land schicken, um das Töten zu stoppen“, sagte Ministerpräsident Hamad Bin Dschassim Al Thani nach Agenturberichten am Montag in der norwegischen Hauptstadt Oslo. Er warb für eine arabische Truppe und distanzierte sich indirekt von der Konferenz der „Freunde Syriens“, auf der es am Freitag vorrangig um humanitäre Hilfe gegangen war. „Wir können nicht dasitzen und die Syrer fragen, ob sie vielleicht Medizin oder Essen brauchen“, sagte Scheich Hamad.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz teilte mit, es habe erstmals seit mehr als einem Monat die Stadt Hama mit Hilfsgütern für etwa 12 000 Personen erreicht. Die Gespräche über Hilfslieferungen in die belagerte Stadt Homs gestalten sich aber offenbar weiterhin schwierig. Auch am Montag stand Homs weiter im Zentrum der Angriffe der Regierungstruppen. Granaten und Raketen schlugen in mehrere hauptsächlich von Sunniten bewohnte Stadtteile ein. Dabei sollen nach Berichten von Oppositionsaktivisten mindestens sieben Personen getötet worden sein. Am Montag wurden sechs Menschen zu Grabe getragen, die im Damaszener Stadtteil Kfar Sousseh am Sonntag bei Protesten gegen das von Assad dekretierte Referendum getötet worden waren. An der Beerdigung nahmen Zehntausende Menschen teil.