Libyen : Die Besitzer des Blutes
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Blutbesitzer: In Murzuk haben sich Stammesvertreter der Tubu versammelt, deren Angehörige im vergangenen Jahr im Kampf gegen arabische Milizen getötet wurden. Bild: Christoph Ehrhardt
In Sabha, tief in der Wüste Libyens, gibt es auch lange nach dem Tod Gaddafis keinen Frieden. Dabei brauchte es gerade hier, wo Schmuggler und Dschihadisten ihr Unwesen treiben, Ruhe und einen starken Staat.
Jene, die Besitzer des Blutes genannt werden, wollen diesen Frieden nicht. Sie sagen, sie seien gar nicht gefragt worden. So wie der Alte, der vor seinem geduckten Häuschen im Schatten sitzt, geschützt vor den harten Sonnenstrahlen, versteckt hinter einer Mauer, in der noch die Einschusslöcher zu sehen sind. „Ich will erst Gerechtigkeit“, sagt er. Nicht weit von hier haben sie an einem Kreisverkehr eine Plakatwand aufgestellt mit den Bildern der Toten. Es sind nicht die Gesichter der „Märtyrer“, die im Kampf gegen den Tyrannen Muammar al Gaddafi fielen, wie sie sonst überall in Libyen zu sehen sind. Hier in Sabha, im entlegenen Süden des Landes, hat die Gewalt kein Ende genommen, als der Aufstand gegen Gaddafi vorbei war. Die Gesichter auf der Plakatwand gehören den Toten, die umkamen, als die Tubu, eine schwarze Bevölkerungsgruppe, die auch in Tschad und Niger lebt, und arabische Stammeskämpfer einander bekriegten.
Das war vor gut einem Jahr. Am Anfang stand der Streit um ein Auto, das ein Tubu gestohlen haben soll. Am Ende standen Dutzende Tote, Hunderte Verletzte und ein fragiler Waffenstillstand. Vermittler der Regierung in Tripolis und Vertreter beider Seiten haben Ende April ein Abkommen zustande gebracht, das den Frieden sichern soll. Doch die Besitzer des Blutes, die Angehörigen der Toten, weisen es zurück, sagen, es sei nur Fassade. „Das ganze Viertel hier ist gegen das Abkommen“, sagt der Alte. Und die Geschichte, wie er und viele andere sie erzählen, zeigt, dass Frieden noch in weiter Ferne liegt. In diesen Erzählungen geht es um alte Rechnungen, jahrzehntelange Benachteiligung, sinistre Verschwörungen und eisernen, bewaffneten Behauptungswillen.
Die Kämpfe dauern an
In Sabha schichten sich die vielen Konflikte und Probleme, die das Gaddafi-Regime dem neuen Libyen als Erbe hinterlassen hat, zu einer schweren Last. Hier herrscht noch tiefes Misstrauen, weil der alte Tyrann die Stämme und Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt hat, um das Land leichter beherrschen zu können. Alte Konflikte brechen auf, seit Gaddafi tot ist und seine Schergen besiegt sind. Hier dauert auch der Konflikt zwischen den Rebellen und den Gaddafi-Anhängern an. Sabha war eine Bastion des Regimes, gehörte zu den letzten Städten in Libyen, die der Kontrolle des Diktators entrissen wurden. Hier leben viele Verlierer des Aufstands. Hier ist die Staatsmacht kaum präsent. Brigaden aus der Region folgen ihrer eigenen Vorstellung davon, was im nationalen Interesse liegt; und sie haben sich aus den Waffenarsenalen der geschlagenen Armee bedienen können.
Es ist eine unwirtliche Gegend, in der seit je Menschenhändler und Schmuggler aktiv sind. Der Sturz des Regimes hat hier auch die alten Arrangements von Mafias und Sicherheitsbehörden zerschlagen, so dass um die Kontrolle des Grenzhandels und die Schmuggelrouten wieder gekämpft wird. Hier wird von Kindern über Rauschgift, Alkohol, Zigaretten bis zum Benzin alles transportiert und gehandelt. Entlang der Grenzen treiben auch Dschihadisten von Al Qaida ihr Unwesen. So kommen nur sehr selten gute Nachrichten aus dem Süden Libyens. Meist sind es Berichte über Gewalt und Tote, von Angriffen auf Polizeistationen oder von Stammeskämpfen.