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Krieg im Nahen Osten : Was kommt nach dem IS?

  • -Aktualisiert am

Irakische Schabak-Kämpfer trainieren für die bevorstehende Schlacht um Mossul Bild: Reuters

Das Reich Abu Bakr al Bagdadis schmilzt unter den Luftschlägen der Anti-IS-Koalition. Der Dschihadismus verschwindet so aber keineswegs. Auf die Befreiung könnte ein böses Erwachen folgen. Ein Gastbeitrag.

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          Manbidsch, Dscharabulus, Qayyarah: Orte im Nirgendwo der syrischen und irakischen Provinz sind über Nacht zu Symbolen der Befreiung von der Terrorherrschaft des „Islamischen Staats“ (IS) geworden. „Wir sind inzwischen bis ins Herz des Kalifats vorgedrungen“, verkündete jüngst General Joseph Votel, Kommandeur des amerikanischen Central Command. Das Reich des selbsternannten Kalifen Abu Bakr al Bagdadi, das nach seiner Ausrufung 2014 eine Fläche von der Größe Großbritanniens umfasste, schmilzt unter den anhaltenden Luftschlägen der Anti-IS-Koalition zusammen – und mit ihm der Nimbus seiner Unbesiegbarkeit. Also „Mission Accomplished“ für die Allianz der IS-Gegner? Keineswegs! Denn auf die alles entscheidende Frage – „Wer oder was kommt nach dem IS?“ – hat bis auf Weiteres niemand eine schlüssige Antwort. 

          Die Befreiung der Drei-Millionen-Stadt Mossul im Norden Iraks – traditionell ein Schmelztiegel unterschiedlicher Ethnien und Religionen - könnte zum Lackmus-Test werden. Sie wird die Debatte über die Zukunft Iraks als föderaler Staat neu entfachen. Schaffen es die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen, einvernehmliche Lösungen für die Zeit nach dem IS zu finden? Oder bahnt sich ein „Jeder gegen Jeden“ an, bei dem einzig die Durchsetzung eigener Interessen zählt? Das Beispiel der im Dezember 2015 aus den Händen des IS befreiten Stadt Ramadi verheißt nichts Gutes. Mehr als ein halbes Jahr nach dem Ende der IS-Herrschaft geht der Wiederaufbau nur schleppend voran. Zwar gibt es wieder eine Lokalregierung und einen Polizeiapparat, aber – so berichten hinter vorgehaltener Hand sunnitisch-arabische Einwohner der Stadt – die eigentliche Macht liege bei den von Bagdad geduldeten und von Teheran unterstützten schiitischen Milizen.

          Ramadi macht deutlich: dort, wo der IS vertrieben wird, erhalten alte Konflikte neue Nahrung - nicht zuletzt die konfessionellen Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten. Hinzu kommt: die Zahl der Binnenflüchtlinge schnellt weiter in die Höhe, weil Tausende von Zivilisten vor den erbitterten Kämpfen um die IS-Hochburgen Zuflucht in notdürftig errichteten Lagern suchen. Allein aus Falludscha sind 80.000 Menschen in provisorische Lager geflüchtet. Aus dem Provisorium wird häufig ein Dauerzustand, denn die befreiten Städte sind nach den Kampfhandlungen oft bis zur Unbewohnbarkeit verwüstet. Dort, wo nach der Befreiung schiitische Milizionäre das Ruder übernommen haben, ziehen sunnitisch-arabische Bewohner nicht selten das Leben im Camp einer Rückkehr in ihre Städte vor. Dass hier der Nährboden für den Aufstieg neuer extremistischer Kräfte zu gedeihen droht, liegt auf der Hand.

          Eines ist gewiss: „Den IS zu vertreiben, bedeutet nicht, dass damit auch das Problem des Dschihadismus verschwindet“, erklärt Daniel Benjamin, Terrorismus-Experte am amerikanischen Dartmouth College. Auch wenn das Kalifat Stück für Stück in sich zusammenfällt: die zerstörerische Ideologie des IS bleibt. Die wahre Niederlage bestehe im Verlust des Willens zum Kampf, ließ sich der inzwischen in Syrien getötete IS-Sprecher Abu Muhammad al Adnani im Angesicht offensichtlicher Rückschläge  zitieren. Diese Durchhalteparole dürften IS-Anhänger auch weiterhin als Aufforderung auslegen, den bewaffneten Dschihad jenseits der Grenzen des schrumpfenden Kalifats fortzusetzen. Indessen könnte Al Qaida, erbitterte Rivalin des IS um die Vormachstellung in der dschihadistischen Welt, die Schwäche des Konkurrenten nutzen,  um selbst Boden gut zu machen.

          Was also tun? Man muss sich nicht die anti-westliche Rhetorik à la Moskau und Peking zu eigen machen, um festzustellen: die Realität in Irak und Libyen sähe heute anders aus, wären der amerikanischen „Operation Iraqi Freedom“ 2003 und dem internationalen Libyen-Militäreinsatz 2011 genügend wirksame Maßnahmen zur Unterstützung von Wiederaufbau und politischer Transformation gefolgt. „Aus Fehlern lernen“ -  für die amerikanisch geführte Anti-IS-Koalition bedeutet das: dort, wo die Anhänger al Bagdadis das Feld geräumt haben, darf kein Vakuum entstehen. Das Gebot der Stunde lautet also: so schnell wie möglich Sicherheit herstellen, den Wiederaufbau in Gang bringen, inklusive politische Strukturen fördern – und zwar nicht von außen oktroyiert, sondern in enger Abstimmung mit den unterschiedlichen lokalen Gruppen. Entscheidend wird dabei sein, die „Herzen und Köpfe“ der Sunniten zu gewinnen. Viele von ihnen sahen – und sehen – im IS in erster Linie ein Bollwerk gegen Diskriminierung durch das schiitisch dominierte Bagdad oder die Gewaltherrschaft des alawitischen Assad-Clans. 

          Der Kampf gegen IS in Irak und Syrien wird dauern - trotz der jüngsten militärischen Fortschritte. Doch auf die Frage „Wer oder was kommt nach der Terrormiliz?“ bedarf es schon jetzt einer schlüssigen Antwort. Andernfalls könnte der großen Befreiung ein böses Erwachen folgen.

          Nora Müller leitet den Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung.

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