Israel : Offene Arme für die Einwanderer
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Neuanfang: Hebräischunterricht für französische Einwanderer in Jerusalem Bild: Reuters
Brüssel, Paris, Kopenhagen: Die zunehmende Zahl antisemitischer Attentate hat Europas Juden massiv verunsichert. Israel umwirbt die Auswanderungswilligen. Für ihre Integration ist aber noch viel zu tun.
Der Plan war ursprünglich für Juden aus Frankreich, Belgien und der Ukraine gedacht. Aber noch bevor das israelische Kabinett am Sonntag über das zusätzliche Hilfsprogramm für Neueinwanderer in Höhe von umgerechnet gut vierzig Millionen Euro abstimmen konnte, kam noch ein weiteres Land hinzu. „Israel ist eure Heimat und wartet mit offenen Armen auf euch“, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und wandte sich zu Beginn der wöchentlichen Kabinettssitzung damit auch an die Juden in Dänemark. Am Abend zuvor war bei einem Terroranschlag auf eine Synagoge in Kopenhagen ein jüdischer Wachmann getötet worden. Er erwarte, dass diese tödlichen Attacken in Europa weitergehen werden, warnte Netanjahu. Mit ähnlichen Appellen, nach Israel auszuwandern, hatte sich die israelische Regierung schon nach den Attentaten in Paris im Januar und der tödlichen Schießerei im Jüdischen Museum in Brüssel im vergangenen Jahr an die europäischen Juden gewandt.
Terror und antisemitische Übergriffe zeigen Wirkung. Aus Frankreich kamen schon im vergangenen Jahr, also vor dem Angriff auf den koscheren Supermarkt, 6658 jüdische Einwanderer und damit dreimal so viel wie 2013 und mehr als je zuvor nach Israel. In diesem Januar haben schon mehr als 110.00 Franzosen bei der halbstaatlichen Einwandererorganisation Jewish Agency angerufen, um sich über einen Umzug nach Israel zu informieren; mehr als 1800 Akten mit entsprechenden Anträgen wurden angelegt. Auch aus Belgien gebe es mehr Anfragen, teilte das Einwanderungsministerium in Jerusalem mit. Und die Zahl der Juden, die aus der kriegsgeschundenen Ukraine nach Israel ausgewandert sind, verdoppelte sich nach diesen Angaben auf fast 6000.
„Alija“ heißt auf Hebräisch die Auswanderung nach Israel, was sich mit dem „Aufstieg“ ins Gelobte Land übersetzen lässt. Seit der Gründung Israels im Jahr 1948 brachte die Jewish Agency schon mehr als drei Millionen Juden ins Land. Unter ihnen Äthiopier, Jemeniten und eine Million Einwohner der früheren Sowjetunion. In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte Israel im Verhältnis zu seiner Bevölkerung die höchste Einwanderungsquote weltweit. Doch der „Aufstieg“ nach Israel erwies sich für viele als beschwerlich. Mehrere tausend Juden aus der früheren Sowjetunion verließen in den vergangenen Jahren Israel wieder. Als säkulare Juden fanden sich viele von ihnen in dem Staat nicht zurecht, in dem die Rabbiner bei Heiraten, Todesfällen und anderen zivilrechtlichen Angelegenheiten ein wichtiges Wort mitzureden haben.
Das vom israelischen Kabinett verabschiedete Programm zeigt die Punkte auf, an denen die Regierung noch dringend arbeiten muss, um mit der „Masseneinwanderung“ fertig zu werden, zu der Ministerpräsident Netanjahu jetzt aufgerufen hat. Ursprünglich hatte das zuständige Ministerium den finanziellen Bedarf dafür auf umgerechnet rund 200 Millionen Euro veranschlagt. Der Chef der Jewish Agency, Natan Scharansky, hält den jüngsten Kabinettsbeschluss nicht für ausreichend. Angesichts dieses „historischen Augenblicks“ sei ein langfristiger „nationaler Plan“ nötig, sagte der frühere sowjetische Dissident. Wie viel es noch zu tun gibt, illustrierten zuletzt die ernüchternden Erfahrungen, die französische Juden machten. Anders als die Einwanderer aus Großbritannien und Amerika können sie sich nicht anfangs mit Englisch gut durchschlagen, bis sie genug Hebräisch gelernt haben. Französisch wird in Israel dagegen kaum gesprochen, wo es bisher sehr schwierig und langwierig ist, die aus Europa mitgebrachten Schul- und Berufsabschlüsse anerkannt zu bekommen.
Begehrter Wohnraum
Das neue Programm will deshalb den Hebräischunterricht schon in den Herkunftsländern ausbauen und die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen beschleunigen und besonders bei technischen Berufen vereinfachen. Wer mit seiner eigenen Firma umzieht, soll einen Zuschuss erhalten. Für die ersten Monate stellen Regierung und Jewish Agency traditionell einen „Aufnahme-Korb“ zur Verfügung, zu dem zum Beispiel ein kostenloser, sechs Monate dauernder Hebräisch-Intensivkurs und Mietzuschüsse gehören. Neueinwanderer können auch günstige Darlehen für den Wohnungskauf beantragen.
Während die Lage auf dem Arbeitsmarkt in Israel zum Teil besser ist als zum Beispiel in Frankreich, herrscht in dem kleinen Land eine große Wohnungsnot, die neuen wie alteingesessenen Bürgern gleichermaßen zu schaffen macht. Die Nachfrage wohlhabender Einwanderer aus Frankreich trägt dazu bei, dass besonders in den Städten und an der Küste und in Jerusalem die Immobilienpreise noch weiter steigen. Doch sie sind eine Minderheit unter den Neuankömmlingen. Um den anderen zu bezahlbaren Unterkünften zu verhelfen, wurde deshalb in Israel schon vorgeschlagen, für die französischen Neuankömmlinge eine eigene Stadt in der Negev-Wüste im Süden zu bauen.