Nach Schusswechsel in Slawjansk : Welche Rolle spielt der „Rechte Sektor“?
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Auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew sammeln Mitglieder des „Rechten Sektors“ am Ostersonntag Spenden Bild: FAZ.NET/Ann-Dorit Boy
Nach einer mysteriösen Schießerei im ostukrainischen Slawjansk machen sich Moskau und Kiew gegenseitig Vorwürfe. Russland beschuldigt die Ultranationalisten des „Rechten Sektors“. Und auch in Kiew wächst der Druck auf die Kämpfer.
Die drei jungen Männer, die am Ostersonntag auf dem Kiewer Majdan für die ultranationalistische Gruppe „Rechter Sektor“ Spenden sammeln, schauen gequält über die Menschentraube hinweg, die sie umdrängt. Auf einem Stuhl vor ihnen steht eine transparente Geldkiste in der Nachmittagssonne. Doch es steckt nur selten jemand einen Schein hinein. Stattdessen stellen die Spaziergänger, vor allem ältere Damen und Herren, den drei militärisch gekleideten Aktivisten delikate Fragen. Ob es wirklich Kämpfer des „Rechten Sektors“ gewesen seien, die in der Nacht zum Sonntag nahe der ostukrainischen Stadt Slawjansk eine Schießerei begonnen hätten, wie russische Medien behaupteten?
Bewaffnete Männer hatten prorussische Milizen an einer Straßensperre angegriffen. Das russische Internetnachrichtenportal „Life news“ zeigte am Sonntag eine Visitenkarte von Dmitrij Jarosch, dem Führer des „Rechten Sektors“, die am Tatort gefunden worden sein soll. Auf anderen Bildern waren zwei ausgebrannte Autos zu sehen, die an der Straßensperre zurückblieben. Nach Angaben russischer Medien wurden bei dem Überfall fünf Menschen getötet; das ukrainische Innenministerium bestätigte drei Tote.
„Die werden nicht abziehen. Egal, was wir machen“
Wolodja, ein groß gewachsener junger Kerl, der seine blonden Haare abrasiert hat, verteidigt vor den aufgebrachten Fragestellern den „Rechten Sektor“, dem er sich vor Monaten angeschlossen hat, um Präsident Viktor Janukowitsch zu vertreiben. Im Osten der Ukraine seien ihre Leute nicht aktiv. Auch offiziell hatte der „Rechte Sektor“ die Beteiligung an der Schießerei umgehend dementiert. Und was hält Wolodja von der Ankündigung der prorussischen Separatisten, die besetzten Verwaltungsgebäude erst freizugeben, wenn die Kämpfer des „Rechten Sektors“ ihre Waffen abgegeben hätten und abgezogen seien? „Das ist eine Lüge. Die werden nicht abziehen, egal was wir machen“. Deshalb halte auch der „Rechte Sektor“ in Kiew die Stellung.
Russland hatte in Genf bei Krisengesprächen mit der Ukraine, den Vereinigten Staaten und der EU explizit gefordert, dass Kiew den „Rechten Sektor“ entwaffnen solle. Nach der Schießerei in der Osternacht veröffentlichte das russische Außenministerium nun eine empörte Erklärung. Der Vorfall zeige den „mangelnden Willen der Behörden in Kiew, Nationalisten und Extremisten im Zaum zu halten und zu entwaffnen“. Das ukrainische Innenministerium sprach hingegen von einem „gestellten Anschlag“ und einer „zynischen Provokation, die die Ruhe der Osterfeiertage zerstört hat“.
Kiew: Keine Verabredung über Räumung des Majdan
In der Genfer Vereinbarung zur Deeskalation steht geschrieben, dass alle besetzten Verwaltungsgebäude zu räumen seien. Es blieb unklar, ob damit auch die Gebäude im Stadtzentrum von Kiew gemeint waren, die noch immer von unterschiedlichen Selbstverteidigungsgruppen, unter anderem dem „Rechten Sektor“, kontrolliert werden. Der ukrainische Außenminister Andrij Deschtschyzja stellte am Freitag jedoch klar, dass in Genf keinerlei Verabredung darüber getroffen wurde, wann der Majdan zu räumen sei. Er bleibe vorerst bestehen.
Noch immer steht im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt ein Zeltlager, umgeben von Barrikaden aus Reifen und Pflastersteinen. Mehrere Gebäude, unter anderem die Stadtverwaltung, werden von schweigsamen Männern in Tarnfleck kontrolliert, die keine Auskunft darüber geben wollen, ob und wann sie sich zurückziehen werden. Der neue Verwaltungschef von Kiew bemüht sich jedoch seit Wochen mit geringem Erfolg, die Männer mit sanftem Druck, Arbeitsangeboten und Fahrtkarten zur Heimreise zu bewegen. Einige der besetzten Geschäfte sind nach dem Revolutionschaos renoviert worden und haben inzwischen ihren Betrieb wieder aufgenommen. Andere sind weiterhin in der Hand der Milizen.
Erste friedliche Entwaffnungen der Kämpfer des „Rechten Sektors“
Über einem Seiteneingang des Postgebäudes hängt die schwarz-rote Fahnde des „Rechten Sektor“. Der Wachhabende betont jedoch, dass seine Organisation das Gebäude ganz legal miete. Das Vier-Sterne-Hotel „Dnipro“ unweit des Majdan, in dem der „Rechte Sektor“ sein Hauptquartier eingerichtet hatte, ließ das ukrainische Innenministerium zu Beginn des Monats räumen. Zuvor hatte ein Mitglied des „Rechten Sektors“ in der Nähe des Hotels drei Personen durch Schüsse verletzt.
Am Osterwochenende meldeten ukrainische Behörden nun erste friedliche Entwaffnungen der Kämpfer des „Rechten Sektors“. In der Stadt Schitomir im Norden des Landes gaben nach Angaben des Geheimdienstes SBU Mitglieder des „Rechten Sektors“ 21 Kisten mit Brandsätzen ab.
Die Osterspaziergänger von Kiew ersparen den jungen Männern des „Rechten Sektor“ unterdessen ihre Vorwürfe nicht. Auch wenn sie in Slawjansk vielleicht unbeteiligt waren, so hätten sie mit ihren Waffen und ihrem Gehabe doch schon viel Schaden angerichtet, sagt Swetlana, eine ältere Dame, die sich mit zwei Freundinnen vorgewagt hat zum Stand der Aktivisten. Auf russisch gestellte Fragen antwortet sie selbstverständlich Ukrainisch. „Wir wollen eine vernünftige, friedliche Politik und keine Marodeure“, sagt Swetlana und schaut zu Wolodja und seinen Mitstreitern hinüber. „Diese Kinder ziehen uns in die Schuld hinein. Und die Russen nutzen das aus.“