Nach dem Breivik-Urteil : „Das System hat versagt“
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Der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg und Justizministerin Grete Faremo am Dienstag vor der Sondersitzung Bild: dapd
Wenige Tage nach der Verurteilung des Attentäters Anders Behring Breivik debattiert das norwegische Parlament erstmals ausführlich über die Sicherheitslücken, die das Doppelattentat von Oslo und Utøya offenbart hatte.
Vier Tage nach der Verurteilung des Attentäters Anders Behring Breivik hat das norwegische Parlament am Dienstag in einer Sondersitzung erstmals ausführlich über die Sicherheitslücken debattiert, die das Doppelattentat von Oslo und Utøya am 22. Juli 2011 offenbart hatte. Ministerpräsident Jens Stoltenberg drückte in einer Rede sein Bedauern über die Mängel aus, welche inzwischen eine von der Regierung eingesetzte Untersuchungskommission festgestellt hat.
„Unser Sicherheitssystem und unsere Sicherheitskultur haben demnach in einem Ausmaß versagt, das größer als von mir erwartet war“, sagte Stoltenberg. „Das ist schwer zu akzeptieren.“ Er sei jedoch entschlossen, die nachgewiesenen Fehler zu korrigieren. „Das wird nun eine der größten Herausforderungen für mich sein. Ich traue mir zu, sie zu lösen.“
Jede Minute zählte
Die Kommission hatte in ihrem vor zwei Wochen vorgelegten Bericht vor allem die Verschleppung von Sicherheitsvorkehrungen im Regierungsviertel von Oslo und den Polizeieinsatz zur Ergreifung des Attentäters auf der Insel Utøya kritisiert. Die Straße, in der Breivik den Lieferwagen mit der von ihm selbst gebauten Bombe abstellte, hätte schon Jahre vorher für den Autoverkehr gesperrt werden sollen; Gerangel zwischen den verschiedenen beteiligten Behörden haben jedoch verhindert, dass die 2004 beschlossene Maßnahme in die Tat umgesetzt wurde.
Außerdem hätte der Täter nach Ansicht der Kommission mindestens eine Viertelstunde früher festgenommen werden können, wenn sich die Einsatzkräfte besser abgesprochen hätten. Der vom Amtsgericht in Oslo festgestellte Tatverlauf zeigt, was das bedeutet: In den letzten zwanzig Minuten vor seiner Festnahme erschoss Breivik auf der Insel demnach 19 größtenteils minderjährige Teilnehmer des Sommerlagers der norwegischen Jungsozialisten. Insgesamt kamen auf Utøya 69 Menschen ums Leben, in Oslo waren es acht. Breivik wurde für seine mit rechtsextremen Motiven begründete Tat zu einer Gefängnisstrafe von 21 Jahren mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.
Regierung unter Druck geraten
Die von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei geführte Regierung, deren Reaktion auf das Doppelattentat zunächst weithin gelobt worden war, ist seit der Vorlage des Kommissionsbericht zunehmend unter Druck geraten. Zuletzt forderten verschiedene Zeitungen sogar den Rücktritt Stoltenbergs, der in Umfragen ein Jahr vor den Parlamentswahlen im kommenden Herbst hinter seine bürgerliche Herausforderin zurückgefallen ist.
Nun kündigte der Ministerpräsident eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der öffentlichen Sicherheit an. Dazu zählen mehr Notfallübungen, eine Gesetzesnovelle zur Zusammenarbeit von Polizei und Militär sowie der Aufbau einer neuen Notfallzentrale in Oslo. Außerdem sollen halbautomatische Waffen verboten werden. Solche Initiativen müssten aber stets das Ergebnis von Abwägungen sein. „Eine zu hundert Prozent sichere Gesellschaft kann nicht zugleich offen sein“, sagte Stoltenberg. In so einer Gesellschaft möchte niemand von uns leben.“
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