Nach Absetzung al Baschirs : In Sudan liegen die Nerven blank
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Zeichen des Protests: Demonstranten blockieren am Montag mit brennenden Reifen und Pflastersteinen die Zufahrt zum Armee-Hauptquartier in Khartum Bild: AFP
Kämpfer der Militärjunta erschießen in Khartum friedliche Demonstranten. Nach der Absetzung Omar al Baschirs kämpfen beide Seiten um die Macht im Land.
Es ist fünf Uhr am Montagmorgen, als die Kämpfer der Militärjunta in Khartum die Barrikaden stürmen und das Feuer eröffnen. Zu dieser Zeit sind nicht mehr allzu viele Demonstranten auf den Straßen, die zum Militärhauptquartier in der sudanesischen Hauptstadt führen. Minutenlang hallen die Salven aus Maschinengewehren durch die Straßen. Dutzende Demonstranten brechen von Schüssen getroffen zusammen, andere flüchten panisch. An den Ausgängen des Platzes stehen Polizeieinheiten, die sie niederknüppeln. Wer Glück hat, kann sich auf das Gelände von Krankenhäusern in der Nähe retten und sich dort verstecken. Es dauert nicht lange, dann ist das Gebiet um das Verteidigungsministerium und die Gebäude von Armee, Luftwaffe und Marine geräumt. Wenig später kursieren erste Bilder der Gewalt in den sozialen Netzwerken.
„Die Soldaten sind ohne Gnade gegen unsere Leute vorgegangen. Es war ein Massaker“, sagt der 24 Jahre alte Pharmazeut Mohammed Awad Sigeir. Er ist Mitglied des Zentralkomitees sudanesischer Pharmazeuten – eine der vielen Berufsgruppen, die sich im Berufsverband SPA vereint haben und die Proteste organisieren. Mohammed Awad hat in Indien studiert und spricht fließend Englisch. Er gehört zu denen, die seit dem 6.April hinter den Barrikaden Wache gehalten haben. Von seinen Kollegen hat er gehört, dass mehr als dreißig Demonstranten getötet worden sein sollen. Das Zentralkomitee sudanesischer Ärzte sprach am Montagnachmittag von 13 Toten.
Seit Wochen fordern die „Kräfte von Freiheit und Wandel“ die Abdankung des Militärrats, der seit dem Sturz des ehemaligen Diktators Omar al Baschir am 11.April die Kontrolle über das Land übernommen hat. Doch die Verhandlungen zwischen den Führern der Protestbewegung und Militärs geraten immer wieder ins Stocken. Um den Druck auf die Militärs zu erhöhen, hatten die Demonstranten in der vergangenen Woche zu einem zweitägigen Generalstreik aufgerufen. Seitdem liegen die Nerven blank.
Die Lage spitzt sich immer weiter zu, seit Tagen wird wieder scharf geschossen in Khartum. Am Donnerstag wurde eine im sechsten Monat Schwangere erschossen – nach Angaben des Militärrats von einem betrunkenen Soldaten. Einen Tag später starb ein 20 Jahre alter Mann, der in ein Kreuzfeuer zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen der Streitkräfte geraten war. Schon am Samstagmorgen rollten Pick-ups der Militärjunta in die Stadt. Sie gehörten vorwiegend zu den Einheiten des sudanesischen Geheimdienstes und den paramilitärischen „Rapid Support Forces“ (RSF), die die Kontrolle über Khartum übernommen haben. Regimegegner zählten einen Toten und 23 Verwundete. Angeblich hatten die Einsatzkräfte eine Razzia gegen Drogen- und Alkoholdealer durchgeführt. Die Revolutionäre allerdings werteten den brutalen Einsatz als Ankündigung einer weiteren Eskalation, die dann am Montagmorgen folgte. Auch am Sonntag waren in der Innenstadt Khartums Schüsse zu hören. Rauchsäulen stiegen auf – dort, wo die Männer der RSF die Zelte der Demonstranten niederbrannten, und dort, wo sich mutige Gegner der Junta versammelten und Autoreifen in Brand setzten.