Mormonentum : Tempel der Taschentücher
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Der Mormonentempel in Kansas City, Missouri, wurde am 7. April 2012 eröffnet Bild: The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints
Seit der Mormone Mitt Romney amerikanischer Präsident werden will, steigt auch das Interesse an seiner Religion. Ein seltener Einblick in ein neues Gotteshaus der Mormonen.
Im „Celestial Room“ kommen Schwester Brown abermals die Tränen. Auch vorher schon hat sie oft mit den Tränen gekämpft. Obwohl man nicht behaupten kann, dass die Mitglieder der „Church of Jesus Christ of Latter-day Saints“ (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage) nur selten mit den Tränen kämpften. Im Gegenteil. Bei den Mormonen, wie die Gläubigen dieser vom Propheten Joseph Smith gegründeten Kirche allgemein genannt werden, wird viel geweint. Deshalb stehen überall Schachteln mit Taschentüchern bereit.

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Eine solche Schachtel steht auch unter dem Monitor in einem der Räume des Gemeindehauses. Dort beginnt unser Rundgang durch den neuen Mormonen-Tempel von Kansas City im Bundesstaat Missouri. Der Tempel, der in dem Vorort mit dem treffenden Namen Pleasant Valley nördlich von Kansas City liegt, ist der 137. Tempel der Kirche weltweit und der 67. in den Vereinigten Staaten. Die Mormonen-Tempel haben nicht die Funktion von Kirchen wie bei Katholiken oder Protestanten, sie sind sonntags sogar meist geschlossen. Für den Gottesdienst am Sonntag sind bei den Mormonen die Kapellen und Gemeindehäuser da, und davon gibt es rund 18.000. Diese „Meeting Houses“ sind meist schmucklose Zweckbauten, allenfalls durch den spitzen Turm von einer städtischen Turnhalle zu unterscheiden. Umso prunkvoller sind dafür viele der Tempel der Mormonen. Sie gelten als jener heilige Ort, an welchem man die Gegenwart des himmlischen Vaters erfahren und dessen Wort hören kann.
Finanziert aus dem Entrichten des Zehnten
Der neue Tempel von Kansas City ist ganz gewiss prunkvoll. Die Fassade ist aus strahlend weißem Beton, das im ganzen Gebäude bestimmende Motiv des Olivenzweigs wird ausführlich in den Außenornamenten zitiert. Der Westturm erhebt sich gut 40 Meter hoch und ist von einer drei Meter hohen vergoldeten Statue des Engels Moroni mit Posaune gekrönt. Im Inneren kommen feinster Kalkstein, Granit und Marmor aus Indien, Pakistan und Mexiko zum Einsatz. In den Teppichböden und den Bleiglasfenstern, in den Lüstern und den Kandelabern, in den Deckenornamenten und gar in den Treppengeländern wird das Olivenzweigmuster wiederholt.
Was der Tempel von Kansas City genau gekostet hat, will die Kirche, deren Sitz sich seit 1847 in Salt Lake City im Bundesstaat Utah befindet, nicht sagen. Man deutet lediglich untertreibend an, es seien „gewiss mehr als zehn Millionen Dollar gewesen“. Gerne aber wird erwähnt, dass auf dem neuen Tempel, dessen Grundstein im Mai 2010 gelegt wurde, kein Cent Schulden lastet: Die Mormonen lassen nur bauen, was sie aus Erspartem bezahlen können. Und das kommt vor allem aus dem Zehnten zusammen, den jeder Mormone nach biblischem Gebot an die Kirche zu entrichten hat.
Weil die Mormonen den Tempel als heiligstes „Haus des Herrn“ betrachten, bleiben Tempel nach deren Weihung für Nichtmormonen verschlossen - und übrigens auch für jene Angehörigen der Kirche, deren gottgefälliger Lebenswandel nicht durch ihren örtlichen Bischof und den sogenannten Pfahlspräsidenten bestätigt wird. Die vom Bischof und vom Pfahlspräsidenten unterzeichneten Tempelkarten sind zwei Jahre lang gültig und werden beim Betreten des Tempels am Eingangspult kontrolliert.
Seit Jahr und Tag sieht sich die „Church of Jesus Christ of Latter-day Saints“ dem Verdacht ausgesetzt, in ihren Tempeln gehe es geheimbündlerisch zu. Dem tritt die Kirche mit dem Argument entgegen, ihre Tempel seien „heilig, nicht geheim“ und stünden vor der Weihung an Besuchstagen allen Bürgern offen. Bis zu 100.000 Besucher werden bis zur Weihung am 6. Mai durch Kirchenpräsident Thomas S. Monson erwartet. Diesen Strom zu bewältigen stellt eine erhebliche logistische Herausforderung dar. Freilich wird die Kirche diese mittels ihrer sprichwörtlichen Organisationsgabe und dank Heerscharen von Freiwilligen problemlos bewältigen. Dass der Mormone Mitt Romney bei den Wahlen vom 6. November als republikanischer Kandidat Präsident Barack Obama herausfordern dürfte, hat das Interesse an dieser jungen amerikanischen Religion mit weltweit 14 Millionen Mitgliedern zusätzlich gefördert.