Mitschuld des Westens : China sucht Hegemonie, keine Partnerschaft
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Ein Bildschirm in Peking zeigt den Präsidenten Xi Jinping. Sein „chinesischer Traum“ lenkt davon ab, dass er China in einen totalen Überwachungsstaat verwandelt. Bild: AP
Während sie sich zuvor mit Gewalt an die Macht klammerte, expandiert die Kommunistische Partei unter Xi Jinping nun strategisch. Der Westen hat versäumt, die pluralistischen Kräfte in China zu stärken. Ein Gastbeitrag.
Niemand, der auch nur gelegentlich den Nachrichten und Kommentaren zu China-Themen in der breiten Öffentlichkeit folgt, wird bestreiten, dass sich Ton und Aufmerksamkeit in den vergangenen anderthalb Jahren gründlich geändert haben. China, noch vor kurzem ein aufstrebender Riese der globalen Wirtschaft, „Motor“ sowohl von Produktion als auch von Verbrauch, wurde zunehmend auch als große Unbekannte angesehen, die in der globalen Politik Stellung bezog. Dem Gebaren nach viel weniger provokativ als das zynisch-pathetische Russland, erschien die chinesische Führungsrolle vielen schon zum Vorbild eines kühlen und effizienten „Pragmatismus“ bestimmt, der in einer globalen Atmosphäre, die sich seit Jahren gefährlich aufzuheizen droht, der Vernunft des Handelns Geltung verschaffen würde.
Noch Anfang 2017 schien Xi Jinpings Auftritt in Davos vielen „liberalen“ Vertretern der globalen Wirtschaft und Politik als Ankündigung einer dringend benötigten Verteidigung ihrer Interessen gegen den absehbaren Angriff Donald Trumps auf das System regionaler Freihandelszonen und auf den politischen „Multilateralismus“. Ein Jahr später, 2018, behaupteten Staatsmedien in China einhellig, die Agenda des Davos-Treffens sei diesmal von der „globalen Vision“ Xis, der selbst an dem Treffen nicht teilnahm, „geprägt“ worden und „dass bezeichnender Weise nicht nur einzelne Punkte der Agenda an Xis Gedankengut orientiert waren, sondern das Programm als Ganzes“. Zwar war diese Behauptung frei erfunden, aber in China wurde das, anders als auf internationaler Ebene, niemals öffentlich kritisiert.
Dafür blieben in der offiziellen Berichterstattung zum diesjährigen Davos-Forum triumphale Übertreibungen fast völlig aus. War Xis „chinesischer Traum“ - eine verschwommene und daher selten durchschaute Propagandametapher für eine klassenlose Gesellschaft, in der sich auch sogenannte rote Kapitalisten zu Hause fühlen dürfen – eben noch beinahe zum Leitbild einer neuen Weltordnung erklärt worden, so ging kaum eine offizielle Stimme auf die harsche, aber durchaus begründete Kritik von George Soros ein, der erstmals an so prominenter Stelle aussprach, dass der rasante Aufbau eines totalen Überwachungsstaates unter Xis Herrschaft und der ebenso schnelle Abbau einer relativen Autonomie staatlicher Organe innerhalb des Machtgefüges im Einparteienstaat natürlich nicht weniger als Trumps aggressiver Nationalchauvinismus eine Gefährdung der freien Weltordnung bedeuten.
Wer diese rasche Veränderung des westlichen Chinabildes nicht versteht, deshalb meint, sie sei von einer Verunsicherung des Westens hervorgebracht worden und sie daher als störend und ungerecht empfindet, muss zuerst verstehen, welchen Weg das politische China während des letzten Jahrzehntes wirklich eingeschlagen hat, um dann zu beurteilen, welche Antwort darauf angemessen ist. Vor allem muss man wenigstens nachträglich anerkennen, dass jede Antwort, so sehr sie jetzt Not tut, schon verspätet kommt. Der Westen und damit die eigentliche Kraftquelle für Chinas wirtschaftlichen und politischen Aufstieg während der letzten vierzig Jahre, hat in demselben Zeitraum mehrere Chancen vertan, um die freiheitlichen und pluralistische Kräfte, an denen es der chinesischen Gesellschaft – wiederum im Gegensatz zur russischen – nie wirklich gefehlt hat, zu stärken.