Misstrauensantrag in Spanien : Der grantelnde Professor und die Rechtspopulisten
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Ramon Tamames und Santiago Abascal am 21. März im spanischen Parlament in Madrid Bild: Reuters
Spaniens Vox-Partei versucht, Ministerpräsident Pedro Sánchez mit der Hilfe eines 89 Jahre alten Ex-Kommunisten zu stürzen. Eines ist den Rechtspopulisten damit sicher: die maximale Aufmerksamkeit.
Gestützt auf seinen Gehstock und auf einen Saaldiener kämpft sich Ramón Tamames die steile Treppe in dem Halbrund hinauf. Alle Kameras sind auf den alten Mann gerichtet, bis er endlich in der Reihe der rechtspopulistischen Vox-Partei Platz nimmt. Im spanischen Parlament beginnt an diesem Dienstagmorgen die Debatte über einen Misstrauensantrag der Vox-Partei gegen den linken Ministerpräsidenten Pedro Sánchez.
Mehr als eine Stunde dauert die Generalabrechnung, die der Herausforderer des Ministerpräsidenten im Sitzen vorträgt, weil ihm der Weg zur Rednertribüne zu beschwerlich ist. In diesem Jahr wird der Kandidat der spanischen Rechtspopulisten 90 Jahre alt. Vox landete mit dem Auftritt des Politiker-Greises einen Coup.
Seit Tagen gab es in Spanien kein anderes Thema: Der angesehene Wirtschaftswissenschaftler war früher Mitglied der Führung der kommunistischen Partei, half beim friedlichen Übergang von der Franco-Diktatur zur Demokratie, bevor er im Alter konservativer wurde. Sieben Jahre gehörte Tamames auch dem Parlament an – Vox aber nie. Seine Intervention bezeichnete er als „einen seiner letzten Tribute an dieses schöne Land“, das er vor Sánchez’ „Frankenstein“-Regierung retten will, die Spanien spalte.
Tamames attackiert die Linksregierung nicht aggressiv wie vor ihm der Vox-Vorsitzende Santiago Abasacal. Seine Rede erinnert an einen grantelnden Professor, der sich in seiner mit Zitaten gespickten Vorlesung manchmal bei Zahlen verheddert und dem ab und zu der Kragen platzt. Es geht um alles: Die Schwäche der Regierung gegenüber den Separatisten, ihren autokratischen Regierungsstil genauso wie die fehlenden Kläranlagen, die Geburtenrate und die Forderung nach einem spanischen „Mittelstand“ nach deutschem Vorbild, wofür er das deutsche Wort verwendet. Tamames’ Vorstellungen sind weder kommunistisch, noch rechtsradikal – eher neoliberal und konservativ, was weniger zu Vox und besser zur konservativen Volkspartei PP passen würde.
Kompromissbereitschaft gegenüber der extremen Rechten
Doch die PP hat angekündigt, sich bei der Abstimmung an diesem Mittwoch zu enthalten. So hatte Vox am Dienstag nur die Unterstützung der 52 eigenen Abgeordneten sicher – von insgesamt 350 Parlamentariern. Aber der exotische Kandidat sichert den Rechtsextremisten für kurze Zeit die maximale Aufmerksamkeit. Vox braucht sie dringend, denn vor dem Wahlmarathon in diesem Jahr haben die Rechtspopulisten, die jahrelang von einem Wahlerfolg zum nächsten eilten, in den Umfragen zu kämpfen. Auf einmal wandern ihre Wähler wieder zur konservativen PP ab. Der Vox-Vorsitzende Abascal war in dieser Legislaturperiode schon einmal selbst mit einem Misstrauensantrag gescheitert. Jetzt soll der alte Professor helfen, Vox aus der rechten Schmuddelecke herauszuhelfen und zu beweisen, dass ihre Anliegen über Parteigrenzen hinweg Unterstützung finden.
Tamames’ Vorwürfe und Abascals Attacken richten sich gegen die linke Minderheitsregierung, aber sie bringen gleichzeitig die PP in Bedrängnis. Mehrfach bedauert der Vox-Vorsitzende, dass der PP-Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo der zwei Tage dauernden Generaldebatte fernbleibt. Der vor einem Jahr gewählte PP-Vorsitzende gehört dem Parlament nicht als Abgeordneter an und hätte nur als Gast teilnehmen können.
Feijóo hält bewusst Abstand zu den Rechtspopulisten. Er wirbt um die Wähler der spanischen Mitte, seine PP will den aussichtslosen Antrag von Vox daher nicht unterstützen und sich ganz auf die bevorstehenden Wahlen konzentrieren. Aber im Unterschied zum ersten Misstrauensantrag, gegen den damals die PP stimmte, wollen sich die Konservativen dieses Mal nur der Stimme enthalten. Für die Linkskoalition ist diese Ankündigung ein weiterer Beweis für Feijóos Kompromissbereitschaft gegenüber der extremen Rechten und dafür, dass er sich notfalls von Vox tolerieren lassen würde, sollte ihm das den Weg an die Regierung ebnen.
Das politische Spektakel nutzt die zerstrittene Linkskoalition als eine politische Steilvorlage. In seinen endlosen Repliken macht Sánchez Wahlkampf für die eigene Reform-Politik. Es sei nicht die „beste Idee“ des Professors gewesen, ausgerechnet für Vox anzutreten und damit eine rechtsradikale Partei „weißzuwaschen“, hielt er Tamames vor. Dann rühmt er sich seiner Rentenreform, der Erhöhung des Mindestlohns, der Stärkung der Arbeitnehmerrechte und der Mietpreisbremse. Vor allem nutzt die Regierung die parlamentarische Bühne, um die Angst vor der rechten Opposition zu schüren. Vor den Kommunal-, Regional- und Parlamentswahlen soll sich das Rezept bewähren, das 2019 schon einmal funktionierte. Sánchez und seine Partner setzen Vox und PP gleich: Wer die konservative Volkspartei wähle, bekomme am Ende die Rechtspopulisten, lautet die Warnung an die moderaten Wähler.
Die Angriffe aus der Linkskoalition gelten am Dienstag weniger Vox als vielmehr der PP, die in den meisten Umfragen inzwischen zur stärksten Partei geworden ist, aber ohne Vox keine eigene Mehrheit hätte. Sánchez weiß jedoch aus eigener Erfahrung, wie knapp und überraschend Abstimmungen ausgehen können. Auch er gewann 2019 keine eigene Mehrheit und kam am 1. Juni 2018 überraschend nur durch ein Misstrauensvotum an die Regierung. Es war der einzige erfolgreiche Antrag von insgesamt sechs in der Geschichte der spanischen Demokratie.