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Russischer Besuch in Peking : Kerninteressen statt Ukrainekrieg

Mischustin (rechts) wird von seinem chinesischen Amtskollegen Li in Peking mit einer Begrüßungszeremonie empfangen. Bild: dpa

Der russische Ministerpräsident Michail Mischustin wird in China freundlich empfangen. Es geht um „Kerninteressen“. Über die Ukraine wurde nicht gesprochen, jedenfalls nicht öffentlich.

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          Einen derart ranghohen russischen Gast hat es in Peking seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht mehr gegeben. Als Ministerpräsident Michail Mischustin am Mittwoch nicht nur von seinem im Rang entsprechenden Gegenüber Li Qiang, sondern auch von Staats- und Parteichef Xi Jinping empfangen wurde, machte das nicht den Eindruck, als suche China noch etwas Distanz. Im Gegenteil.

          Jochen Stahnke
          Politischer Korrespondent für China, Taiwan und Nordkorea mit Sitz in Peking.

          Die Festigung der chinesisch-russischen Beziehungen sei „nicht nur eine Frage des Volksempfindens, sondern auch ein wichtiger Trend“, befand Xi in der Großen Halle des Volkes. Er warb dafür, die Zusammenarbeit „auf ein höheres Niveau“ zu heben. Zuvor war Mischustin vom chinesischen Ministerpräsidenten Li mit einer Ehrengarde unter dem Klang von Nationalhymnen und Salutschüssen empfangen worden. Im von Xi ausgerufenen Trend findet die Ukraine bislang weiter keinen eigenen Platz. Jedenfalls kam das überfallene Land weder in den öffentlichen Worten Mischustins noch in denen von Xi vor. Ebenso fehlte jeglicher Verweis auf eine Beendigung des Krieges.

          Stattdessen nahm Xi größere Dimensionen in den Blick. China sei bereit, sich mit Russland in Fragen, welche die „Kerninteressen“ beider Seiten betreffen, „weiterhin gegenseitig zu unterstützen“, so der Staats- und Parteichef nach Angaben des Staatsfernsehens. Als Kerninteresse gilt hier vor allem die Abwehr des amerikanischen Einflusses. Mischustins Besuch folgt auf den gerade beendeten G-7-Gipfel in Japan, wo die führenden westlichen Staaten weitere militärische Unterstützung für die Ukraine und neue Sanktionen gegen Russland angekündigt sowie Ansprüche Chinas gegen Taiwan und im Südchinesischen Meer zurückgewiesen hatten.

          Mischustin: Energiekooperation hat „absolute Priorität“

          Die chinesische Parteizeitung „Global Times“ erklärte dazu, die USA wollten „die Ukraine-Krise im asiatisch-pazifischen Raum wiederholen“ – und verortete die Kriegsschuld damit offensichtlich in Washington. Die Annäherung zwischen China und Russland hingegen solle man „nicht mit der aktuellen Ukraine-Krise in Verbindung“ bringen, erklärte das Blatt an anderer Stelle. Im Falle Mischustins handele es sich vielmehr um einen „Routinebesuch“. Ziel sei es, die „Entwicklungsanforderungen beider Länder voranzutreiben, insbesondere da die von den USA angeführte kleine Clique ihre Bemühungen verstärkt, das Wachstum Chinas und Russlands einzukreisen“.

          Zumindest das Wachstum der Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Russland hat seit Kriegsbeginn dramatisch zugenommen. Dieses Jahr werde das bilaterale Handelsvolumen einen neuen Rekordwert von zweihundert Milliarden Dollar erreichen, sagte Mischustin am Dienstag in Schanghai. Dort hatte Russlands Ministerpräsident zunächst ein Wirtschaftsforum besucht. Im vergangenen Jahr ist der bilaterale Handel um dreißig Prozent angestiegen, was vor allem auf die russischen Öl- und Gaslieferungen nach China zurückgeführt wird.

          Mischustin sagte, die Energiekooperation mit China habe für Russland „absolute Priorität“. Russlands Energielieferungen nach China werden in diesem Jahr voraussichtlich um vierzig Prozent steigen, gab die Nachrichtenagentur Interfax bekannt. Xi sagte, „China und Russland sollten Wege finden, um die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Investitionen zu verbessern“. Beide Seiten unterzeichneten Absichtserklärungen unter anderem über Investitionserleichterungen, Handelsdienstleistungen und zum Export von Agrarprodukten nach China.

          Mit Sanktionen belegte Delegation

          China exportiert mittlerweile vor allem Fahrzeuge in großem Stil ins russische Nachbarland. Wie aus der chinesischen Zollstatistik hervorgeht, hat sich der Export von Nutzfahrzeugen und Lastwagen aus China nach Russland in den ersten vier Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr etwa vervierfacht. Kamen bei den in Russland zugelassenen Neuwagen 2021 noch sechs Prozent aus China, sind es 2022 schon zwanzig Prozent gewesen. Dieser Anteil könnte sich dieses Jahr noch einmal verdoppeln.

          Vor diesem Hintergrund reist Mischustin mit einer Delegation von Ministern und ranghohen Wirtschaftsführern von mehr als fünfzehn russischen Unternehmen. Einige von ihnen sind wie Mischustin wegen ihrer Beteiligung am russischen Kriegsapparat seit Langem mit amerikanischen Sanktionen belegt. Mitanwesend bei den Treffen waren Chinas oberster Außenpolitiker Wang Yi sowie der oberste chinesische Wirtschaftspolitiker He Lifeng.

          Dass sich die Beziehungen zu China währenddessen auch im Sicherheitsbereich weiter vertiefen, offenbarte der Besuch des unter anderem für Geheimdienste zuständigen Politbüromitglieds Chen Wenqing in Moskau. Chen hatte dort am Montag den Sekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrats Nikolaj Patruschew getroffen. Patruschew sagte, die Vertiefung der Beziehungen zu China seien der strategische Kurs, auf dem Russland sich befinde. Ein Trend, der Xi gefällt.

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