Ein bewaffneter Polizist steht vor der Pariser Polizeipräfektur, in der am Donnerstag ein Polizist mehrere Kollegen mit einem Messer getötet hatte. Bild: AP
Es habe Schwachstellen bei der Erkennung der Radikalisierung des Pariser Messerattentäters gegeben, sagt Frankreichs Innenminister Christophe Castaner. Rücktrittsforderungen weist er zurück.
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Nach dem Messerangriff in der Pariser Polizeipräfektur hat Frankreichs Innenminister Christophe Castaner Fehler bei der Erkennung der Radikalisierung des Tatverdächtigen zugegeben. Es habe offensichtlich Schwachstellen gegeben, sagte Castaner am Sonntag in einem Interview mit dem Fernsehsender TF1. Forderungen nach seinem Rücktritt als Minister wies er zurück. Diese Frage stelle sich nicht, so Castaner. Es müsse nun daran gearbeitet werden, wie Radikalisierung besser erkannt werden könne.
Castaner betonte, dass es in der Akte des 45 Jahre alten Polizeimitarbeiters keine Hinweise auf Verhaltensauffälligkeiten gegeben habe. Oppositionspolitiker hatten dem Innenminister zuvor vorgeworfen, kurz nach der Tat am Donnerstagnachmittag nicht die Wahrheit über eine bekannte mögliche Radikalisierung des Tatverdächtigen gesagt zu haben. Er habe nach dem Bekanntwerden weiterer Details um Erklärungen gebeten, sagte Castaner im Interview.
Einem Medienbericht zufolge soll Castaner in der kommenden Woche Parlamentariern Rede und Antwort stehen. Der Minister werde in den kommenden Tagen von vier Abgeordneten der Nationalversammlung und vier Senatoren befragt, berichtete der Fernsehsender BFMTV am Sonntag in Berufung auf Parlamentskreise. Die Anhörung soll demnach unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
Nach der Messerattacke soll nun auch untersucht werden, ob Anzeichen einer Radikalisierung des Tatverdächtigen erkennbar waren. Er habe die Geheimdienstaufsicht gebeten, eine eingehende Überprüfung der Aufdeckung und Behandlung von Radikalisierungsprozessen in allen an der Terrorismusbekämpfung beteiligten Geheimdiensten durchzuführen, erklärte Premierminister Edouard Philippe am Sonntag auf Twitter. Die Prüfung solle zeigen, ob die Erkennungs- und Meldewerkzeuge in der Geheimdienstabteilung der Polizeipräfektur vorhanden waren und funktionierten, so Philippe. Ein „Null-Risiko“ gebe es nie, schrieb der Premier. „Aber wir müssen immer die Maschen des Netzes verengen.“
Nach Angaben von Antiterror-Staatsanwalt Jean-François Ricard vom Samstag vertrat der 45 Jahre alte Täter eine radikale Sichtweise des Islam und hatte Kontakt zu Anhängern der salafistischen Bewegung. Dennoch geriet der langjährige Mitarbeiter des Polizeipräsidiums nie in das Visier der Antiterrorfahnder.
Den bisherigen Ermittlungen zufolge war Mickaël Harpon vor rund zehn Jahren zum Islam übergetreten. Seit einiger Zeit vertrat er Staatsanwalt Ricard zufolge zunehmend radikalere Auffassungen. Unter anderem verteidigte er den von Islamisten verübten Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitung „Charlie Hebdo“ im Jahr 2015, wollte seine Kontakte zu Frauen einschränken und besuchte die Moschee nur noch in traditioneller muslimischer Kleidung.
Vor seinem Angriff tauschte Harpon mit seiner Frau 33 SMS aus, die ausschließlich religiöse Inhalte hatten, wie Ricard berichtete. Bei seiner Tat sei er dann mit großer Brutalität vorgegangen. Binnen sieben Minuten erstach Harpon demnach mit einem Küchen- und einem Austernmesser, die er zuvor gekauft hatte, vier Kollegen und verletzte zwei weitere, bevor er von einem Polizisten erschossen wurde.
Der Täter war seit 2003 im Polizeipräsidium angestellt, zuletzt arbeitete er für den IT-Bereich der nachrichtendienstlichen Abteilung der Pariser Polizei (DRPP), die unter anderem für den Kampf gegen Extremisten zuständig ist.
Die Polizei war zunächst von der Tat eines psychisch labilen Mannes ausgegangen. Innenminister Christophe Castaner hatte am Donnerstag am Tatort gesagt, der Mann habe „nie Verhaltensauffälligkeiten gezeigt„ und seinen Angriff auch nicht angekündigt. Da er schwerhörig war, galt er als behindert, zudem soll er laut Medienberichten vor der Tat „Stimmen“ gehört haben.
Schon in der Zeitung „Journal du Dimanche“ hatte Philippe zwei Aufklärungsschritte angekündigt: Diese beträfen neben der nachrichtendienstlichen Abteilung der Pariser Polizei auch alle Geheimdienste, die sich mit Extremismus befassen, sagte Philippe. Die Untersuchung zur Pariser Polizei soll demnach bis Ende Oktober abgeschlossen sein. Sie soll offenlegen, ob die internen Mechanismen für den Fall einer Radikalisierung von Mitarbeitern umgesetzt wurden.
Die zweite Mission zu allen Geheimdiensten ziele darauf ab, die internen Prozesse zur Aufdeckung radikaler Mitarbeiter zu überprüfen. Ergebnisse hierzu würden bis Ende des Jahres vorliegen.
Vier Jahre nach den Pariser Anschlägen vom 13. November 2015 mit 130 Todesopfern sorgte der Messerangriff vom 3. Oktober abermals für große Sorge in Frankreich. Der Elyséepalast kündigte für Dienstagvormittag eine Gedenkfeier für die Opfer des Angriffs im Polizeipräsidium an, an der auch Präsident Emmanuel Macron teilnehmen.
Abgeordnete der rechten und rechtsextremen Opposition forderten unterdessen einen Untersuchungsausschuss zu den Hintergründen. Der Chef der konservativen Les Républicains (LR), Christian Jacob, sprach von einer „schwerwiegenden Affäre“. Sie betreffe die „Sicherheit und die Wirkkraft unserer Sicherheitsdienste“.
Die Vorsitzende der rechtspopulistischen Nationalen Sammlungsbewegung, Marine Le Pen, verlangte eine „vollständige Überprüfung der islamistischen Radikalisierung“ unter Staatsbediensteten. Einige LR-Abgeordnete verlangten zudem den Rücktritt von Innenminister Castaner. Dieser habe sich für sein Amt „diskreditiert“, sagte der LR-Vertreter Eric Ciotti.