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Merkel in Japan : Mehr Mut und ein Friedenszweig für Trump

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Japans Premierminister Shinzo Abe in Tokio. Bild: AP

Die Bundeskanzlerin setzt bei ihrem Besuch in Tokio ein Zeichen für Multilateralismus – und wahrt dabei die Harmonie. Denn Deutschland und Japan leiden in ähnlicher Weise unter der neuen Lage in der Welt.

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          Die Worte erschienen formal gewunden, mit denen der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe die deutsche Regierungschefin am Montag in Tokio begrüßte. „Frau Bundeskanzlerin Merkel hat den Frühling mit nach Japan gebracht“, sagte Abe mit Blick auf die ungewöhnlich milden Temperaturen von ungefähr 18 Grad. Gewöhnlich herrsche um diese Zeit in Japan noch kaltes Wetter, auch wenn gerade traditionell der Frühlingsanfang begangen werde. So ungefähr war auch der Sinn des Besuchs zu verstehen, zu dem Angela Merkel nun für ziemlich genau 24 Stunden nach Japan kam: In einer Zeit, in der weltpolitisch ein ziemlich frostiges Klima herrscht, wollen sich zwei Verfechter des Freihandels und einer multilateralen Ordnung aneinander wärmen.

          Ralph Bollmann
          Korrespondent für Wirtschaftspolitik und stellvertretender Leiter Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
          Patrick Welter
          Redakteur in der Wirtschaft.

          Die beiden Länder leiden unter der neuen Lage in ähnlicher Weise. Der Handelskonflikt, den sich der amerikanische Präsident Donald Trump mit dem zunehmend selbstbewussten China liefert, bringt sie auf ähnliche Weise in eine schwierige Lage. Japan und Deutschland sind Exportnationen, deren Wirtschaft durch den zunehmenden Protektionismus besonders bedroht ist. Beide sind ökonomisch mittlerweile stark von China abhängig. Zugleich bleiben die beiden Verlierermächte des Zweiten Weltkriegs sicherheitspolitisch auf die Vereinigten Staaten von Amerika angewiesen, auch weil sie sich durch den gemeinsamen Nachbarn Russland herausgefordert sehen. „Wir schauen von zwei Seiten auf Russland“, sagte Merkel in Tokio.

          „Der weltweit größte, freie und modernste Wirtschaftsraum“

          In diesem unübersichtlichen Gelände bewegten sich beide mit großer verbaler Vorsicht, der Japaner sogar noch mehr als die nicht gerade für ihre Leichtfertigkeit bekannte Deutsche. Obwohl Trump mitsamt seiner Politik als Elefant bei den meisten der Tokioter Gespräche im Raum stand, fiel der Name auf der Pressekonferenz der beiden Regierungschefs kein einziges Mal.

          Aber die Signale waren mehr als deutlich. Japan, das im Juni den G-20-Gipfel der großen Industrie- und Schwellenländer ausrichtet, will dort einmal mehr den Freihandel als Quelle des Wohlstands ganz oben auf die Agenda setzen. Merkel ist die erste europäische Regierungschefin, die nach dem Inkrafttreten des Japanisch-Europäischen Freihandelsabkommens Jefta nach Tokio reiste. „Der weltweit größte, freie und modernste Wirtschaftsraum wird von Japan und Deutschland geleitet“, lobte Abe. Er setzte Jefta und das Transpazifische Freihandelsabkommen CPTPP nicht nur durch, um Japans Binnenwirtschaft unter Druck zur Reform zu treiben. Mit den Handelsverträgen will Abe auch die Freiheit des Welthandels vor Trumps Protektionismus und vor dem staatlichen Interventionismus Chinas schützen. Wirtschaftliche und politische Rationalität ergänzen sich hier.

          Merkel schlug in Tokio in dieselbe Kerbe. Das Treffen solle Ansporn sein, in einer Welt, in der doch manches in Unordnung ist, in der multilaterale Verträge in schwerem Fahrwasser seien, besser zusammenzuarbeiten. Fairness und Reziprozität gehörten natürlich dazu, sagte Merkel und bot Trump so in der von ihm bevorzugten Wortwahl einen Friedenszweig.

          Betont freundlich gingen Deutschland und Japan, die weithin harmonische Beziehungen pflegen, in Tokio miteinander um. Merkel und Abe bemühten sich vor den Journalisten, den Erwartungen des Gegenübers zu entsprechen. Im Nachhinein fügte Merkel während der Pressekonferenz als „Ergänzung“ ein, dass Deutschland Japan in der Korea-Frage vollständig unterstütze. „Es müssen jetzt Taten folgen“, mahnte die Bundeskanzlerin nachvollziehbare Schritte zur wirklichen nuklearen Abrüstung Nordkoreas an und schraubte die Erwartungen an das bevorstehende Spitzentreffen von Donald Trump und Kim Jong-un hoch. Die Anliegen Japans müssten berücksichtigt werden, sagte Merkel im Hinblick auf die von Nordkorea vor Jahrzehnten entführten Japaner, auf deren Freilassung Tokio erfolglos beharrt. Abe schaute sie an und lächelte zufrieden.

          Japan hatte vor dem Treffen die Hoffnung, Deutschland in seine indopazifische Strategie einzubinden. Damit ist der Versuch gemeint, zusammen mit Amerika, Australien und Indien die Freiheit der Meere in Südostasien zu sichern und Chinas territoriale Ansprüche einzudämmen. Merkel zeigte Sympathie, hielt sich mit konkreten Zusagen aber zurück. „Auch wir werden darüber nachdenken, wie wir deutlich machen können, dass wir dieses Projekt unterstützen“, sagte die Bundeskanzlerin. Man müsse mit China eng zusammenarbeiten, aber auch „die Punkte ansprechen, die nicht so einfach gehen“.

          Trotz aller Harmonie sind die Beziehungen zwischen Japan und Deutschland nicht völlig ungetrübt. Dass Japan an der Todesstrafe und am Walfang festhält, ruft in Deutschland immer wieder Empörung hervor. Doch an diesem Tag schoben die Deutschen das beiseite, im Interesse der Demonstration von Einigkeit. „Ich denke, ihr werdet der Welt im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen zeigen, wie fortgeschritten ihr seid“, sagte Merkel und verwies auf Japans technologische Kompetenz in der autonomen Antriebstechnik oder Künstlichen Intelligenz. Offen sprach sie an, dass beide Länder „in einer gewissen Konkurrenz“ stünden, was die Automobilindustrie und hochtechnologische Komponenten angehe. „Aber ich glaube, dieser Wettbewerb macht uns stark. Deshalb sind wir ja für freien und offenen Handel.“

          Auch der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, betonte die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern. Deutschland und Japan hätten gleichermaßen ihre Stärken in der klassischen Industrie, deshalb sähen sie auch gute Chancen, entsprechende Anwendungen für die Künstliche Intelligenz zu entwickeln. „Und vielleicht gibt’s den einen oder anderen Wissenschaftler in China oder den Vereinigten Staaten, der angesichts der dortigen Verhältnisse lieber in Deutschland oder in Japan forscht“, fügte er hinzu.

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