Protesten zum Trotz : Macron will Rentenreform bis Jahresende in Kraft setzen
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Frankreichs Staatspräsident am Mittwoch im Elysée-Palast während des Interviews Bild: AFP
Frankreichs Präsident hält an seiner umstrittenen Rentenreform fest. Er bereue „nichts“, sagt Emmanuel Macron in einem Fernsehinterview - und kritisiert die heftigen Proteste scharf.
Auf die Reaktion der wichtigsten Gewerkschaftsvorsitzenden hat Präsident Macron nicht lange warten müssen. „Lüge und Verleugnung“, hielt ihm der CFDT-Vorsitzende Laurent Berger vor. CGT-Chef Philippe Martinez wetterte: „Das ist Verachtung für die Millionen Menschen, die demonstrieren.“ Dabei hatte sich der Präsident am Mittwoch zwei Journalisten in den Elysée-Palast eingeladen, um den Draht zu den Franzosen wieder aufzunehmen. Im Elysée-Palast hält sich die Vorstellung, dass die Leute in der Provinz zur Mittagspause nach Hause gehen und vor dem Bildschirm speisen. Und so sagte Macron zur Mittagszeit im Fernsehen, dass ihm die Rentenreform „keine Freude bereitet“ habe, er sie aber aus Verantwortungsgefühl durchziehe. „Vor Jahresende muss sie in Kraft treten“, sagte er.
Macron sieht keinen Nachbesserungsbedarf, will aber den Entscheid des Verfassungsrates abwarten, bevor er das Gesetz zur Anhebung des Mindestrentenalters von 62 auf 64 Jahre mit seiner Unterschrift in Kraft setzt. Er bereue nichts, „nur, dass wir es nicht geschafft haben, die Franzosen zu überzeugen.“ Seinen Landsleuten hielt er vor, nicht die Wahrheit hören zu wollen. Das Rentensystem sei defizitär, deshalb müssten alle länger arbeiten. „Ich lebe nicht von Bedauern. Ich lebe von Willensstärke und Hartnäckigkeit“, sagte er. Kurz vor dem Aktionstag der Gewerkschaften mit neuen Streiks und Demonstrationen an diesem Donnerstag klang das mehr wie eine Kampfansage als eine „besänftigende Botschaft“, die Macrons Kommunikationsleute in Aussicht gestellt hatten. Den Gewerkschaften hielt der Staatschef vor, keinerlei Kompromiss zur Zukunftssicherung der Renten unterbreitet zu haben. Der Präsident hat den Gewerkschaftsvertretern seit Jahresbeginn das Gespräch verweigert. Jetzt sprach er davon, dass er den Dialog wieder aufnehme wolle, „meine Hand ist ausgestreckt“.
Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Medef, Geoffroy Roux de Béziers, hatte den Präsidenten in einem Gespräch mit Les Echos am Mittwoch aufgefordert, seine Methode zu ändern. „Die Sozialpartner sollten eine Rolle spielen, um voranzukommen. Diese Methode verlangt Zeit“, sagte der Arbeitgeberpräsident. Macron betonte, Frankreich habe „kein Recht auf Stillstand“. Die Schlacht um Vollbeschäftigung müsse gewonnen werden. Das umstrittene Einwanderungsgesetz, das nächste Woche ins Parlament kommen sollte, zieht er aber vorerst zurück und will es überarbeiten. Die rechtsbürgerliche Mehrheit im Senat hat sich geweigert, das Gesetz mitzutragen. Seiner Premierministerin erteilte Macron den Auftrag, die Oppositionen stärker einzubeziehen und „die Mehrheit zu erweitern“. Auf welche Weise ihr das gelingen soll, sagte er nicht.
Der Unmut über das oftmals rabiate Vorgehen der Ordnungshüter gegen Demonstranten wächst indessen. Das Schicksal von zwei österreichischen Teenagern, die versehentlich festgenommen und die Nacht in Polizeigewahrsam verbringen mussten, beschäftigte die Presse. Die beiden 15 Jahre alten Schüler auf Klassenfahrt waren beim Verlassen der Metrostation Madeleine zufällig in eine Menschenmenge geraten und von der Polizei in eine Seitenstraße getrieben worden. Dort wurden sie wie Hunderte weitere verdächtige Unruhestifter festgenommen. Die österreichische Botschaft musste sich einschalten, damit die Schüler freigelassen wurden.
Im Radiosender France Inter berichtete am Mittwoch ein Anwohner des Viertels um die Garnieroper, wie er beim abendlichen Jogginglauf in eine von der Polizei abgeriegelte Seitenstraße geriet und ebenfalls die Nacht in Polizeigewahrsam verbrachte. Die Ombudsfrau für den Grundrechtsschutz, Claire Hédon, äußerte sich besorgt über die „präventiven Festnahmen“ und „unverhältnismäßige“ Reaktionen der Polizei. Macron hatte bei einer Versammlung mit den Abgeordneten seiner Partei am Dienstagabend betont, „die Menschenmengen habe keine Legitimität“. Im TV-Interview am Mittwoch verglich er die Proteste mit dem Sturm auf das Kapitol und auf das Regierungsviertel in Brasilien. Die Fraktionsvorsitzende des Rassemblement National, Marine Le Pen, entrüstete sich über den Vergleich. „Er sagt, er verstehe die Wut, aber gleichzeitig beleidigt er die Demonstranten“, sagte sie.
Unterdessen rüstet sich Versailles für den Empfang König Charles III., der im Schloss des Sonnenkönigs zu einem Konzert mit anschließendem Staatsbankett von Präsident Macron empfangen wird. Die Stadt soll bereits am Wochenende weiträumig abgesperrt und von einem Großaufgebot an Sicherheitskräften überwacht werden. Charles und Camilla sollen am Montag ungestört der Musik zur Krönung von Georg II. in der Chapelle Royale lauschen können, die von Georg Friedrich Händel komponiert wurde. Eine Prozession mit Trommeln und Fanfaren gehöre dazu. Die grüne Abgeordnete Sandrine Rousseau empörte sich im Fernsehen am Mittwoch darüber: „Emmanuel Macron, der republikanische Monarch, wird die Champs-Elysées hinunterfahren und in Versailles ein Festgelage veranstalten, während das Volk auf der Straße ist. Wird uns die unglaubliche Verweigerung der Demokratie bewusst? Eine königliche Sause mitten in einer sozialen Krise?“