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Luftangriff bei Kundus : Ein Bremer Anwalt vertritt die Angehörigen

  • -Aktualisiert am
Hilft seiner Heimat: Rechtsanwalt Karim Popal

Hilft seiner Heimat: Rechtsanwalt Karim Popal Bild: dpa

Karim Popal kämpft für die Opfer des Luftschlags im September: Sie sollen eine angemessene Entschädigung erhalten. Von seinen Mandanten erwartet der Rechtsanwalt kein Honorar - seine Motivation ist die Verpflichtung gegenüber seiner alten Heimat.

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          Es war ein Anruf aus Afghanistan, kurz nach dem Luftschlag vom 4. September, der den afghanischstämmigen Anwalt Karim Popal zu seinem bisher wohl spannendsten Mandat brachte. „Du musst uns helfen“, sagte ein Freund. Popal, der in Afghanistan geboren wurde, flüchtete 1976 als 19 Jahre alter Junge nach Deutschland, allein, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Er biss sich durch, studierte Jura und ist seit 1992 in Bremen als Rechtsanwalt zugelassen. Er spezialisierte sich auf internationales Familienrecht, internationales Zivilrecht und Ausländerrecht, spricht Paschtu, Dari, Farsi und Russisch. Seine Frau, eine türkischstämmige Rechtsanwältin, weitete den Radius der Kanzlei auf die Anliegen türkischsprachiger Einwanderer aus. 2001 wurde Popals Cousin Hamid Karzai Präsident von Afghanistan; kurz darauf begann Popal, im Auftrag des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Öffentliches Recht und Völkerrecht beim Aufbau der Justiz in seiner Heimat mitzuhelfen.

          Zurzeit ist Karim Popal wieder in Afghanistan. In der Umgebung von Kundus bespricht er sich mit seinen Mandanten: Angehörigen der Opfer des Luftschlags auf zwei Tanklastzüge, bei dem nach offiziellen Angaben bis zu 142 Menschen getötet worden sind. Für sie will er auf außergerichtlichem Wege eine Entschädigung erreichen.

          Sein Mandat per Fingerabdruck genehmigt

          Während die Bundesregierung eine Entschädigung bereits zugesagt hat, gibt es über deren Höhe bisher keine Aussagen. Berichte über eine Summe von drei Millionen Euro wies das Verteidigungsministerium zurück. Der Frankfurter Rechtsanwalt Oliver Wallasch, der mit Popal zusammenarbeitet, sagte dieser Zeitung, dass die Anwälte der Opfer des Luftschlags von 139 zivilen Toten, 20 Vermissten und 20 Verletzten ausgingen. Mit dem Verteidigungsministerium sei Stillschweigen über die Verhandlungen vereinbart worden. Ebenfalls involviert sind die Berliner Rechtsanwälte Andreas Schulz, der auch Geschädigte des libyschen Attentats auf die Berliner Diskothek „La Belle“ vertreten hat, und Markus Goldbach, die Spezialisten im internationalen Schadensrecht sind.

          Popal hat nach eigenen Angaben mittlerweile 79 Vertretungsvollmachten von Hinterbliebenen - verifiziert zum Teil nur mit Fingerabdrücken. Seine Unterlagen bestehen darüber hinaus aus Wahlkarten, Ausweisen und Fotos der Hinterbliebenen. Nach Popals Recherchen sind durch den Luftschlag 91 Frauen zu Witwen und 163 Kinder zu Waisen oder Halbwaisen geworden. Unter den Getöteten seien auch 20 Frauen und 36 kleine Kinder gewesen. Nur fünf Tote seien den Taliban zuzurechnen, denen eigentlich der Angriff gelten sollte. Nach seinen Vorstellungen sollten die Hinterbliebenen keine Einmalzahlung erhalten. Vielmehr solle für sie ein Fonds eingerichtet werden, der durch regelmäßige Zahlungen ihr Existenzminimum sichere.

          Auch die Bundeswehr bemüht sich um Wiedergutmachung

          Wenn die Bundesregierung sich auf einen Fonds einließe, würde damit nach Ansicht Popals eindrucksvoll belegt, dass die Internationale Schutztruppe (Isaf) keinen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führt. Dem Image der Deutschen im Land habe der Luftschlag geschadet. Als Motivation, sich für die Hinterbliebenen einzusetzen, nennt er ein Gefühl der Verpflichtung gegenüber seiner alten Heimat. Er erwarte von seinen Mandanten kein Honorar; seine Reisen nach Afghanistan finanziert er nach eigenen Angaben selbst. Auch Wallasch, der ehrenamtlich für die Nichtregierungsorganisation „Fair Trial International“ tätig ist, sagt: „Wir vier Anwälte wollen mit diesem Mandat nicht reich und berühmt werden, sondern verhandeln im Sinne einer humanitären Lösung.“ Öffentliche Aufmerksamkeit ist ihnen in diesem Fall freilich gewiss.

          Unabhängig von Popal bemüht sich auch die Bundeswehr darum, Angehörige der Opfer ausfindig zu machen. Es wäre nicht die erste Entschädigung: Im August 2008, als an einem Checkpoint eine afghanische Frau und ihre zwei Kinder durch Schüsse deutscher Soldaten zu Tode kamen, zahlte die Bundeswehr 20.000 Dollar an deren Familie. Zuvor hatte ein Vertreter des deutschen Wiederaufbauteams mit Hilfe eines Stammesältesten die Angehörigen um Vergebung gebeten. Die Isaf unterhält einen eigenen Fonds zur Unterstützung ziviler Opfer von Militäroperationen. Der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammed Omar, hatte bereits kurz nach dem Angriff 30 Personen eine Entschädigung von bis zu 2000 Dollar gezahlt. Wie er allerdings die Begünstigten auswählte, scheint fragwürdig. Popal jedenfalls hält Omar für „korrupt und kriminell“.

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