Besuch im Pulverfass nebenan
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Verteidigungsministerin Christine Lambrecht spricht vor ihrem Abflug Richtung Balkan auf Schloss Meseberg mit Journalisten. Bild: AFP
Alles schaut auf die Ukraine, doch auch auf dem Balkan könnte Russland die Glut neu entfachen. Die Verteidigungsministerin reist in die Region.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ist zu einer mehrtägigen Balkan-Reise aufgebrochen. In der Region, seit Mitte den neunziger Jahre Unruheherd und Bürgerkriegsgebiet, waren über zwei Jahrzehnte NATO-Streitkräfte stationiert, um den Waffenstillstand zu sichern und eine politische Entwicklung der Region zu ermöglichen. Während die Bundeswehr seit rund zehn Jahren nicht mehr in Bosnien-Herzegowina eingesetzt ist, sind im Kosovo noch 66 Soldaten im Rahmen der KFOR-Mission stationiert, die von etwa 3400 Soldaten aus 28 Staaten getragen wird.
Die Gespräche in der serbischen Hauptstadt Belgrad, in Sarajevo und im kosovarischen Prishtina fallen in eine Zeit wachsender Besorgnis. Denn der Einfluss Russlands in der Region ist nach wie vor groß. So hat sich Serbien nicht den Maßnahmen gegen den russischen Angriff auf die Ukraine angeschlossen, im Belgrad kam es zu pro-russischen Demonstrationen. Der autokratisch regierende Staatspräsident Aleksandar Vučić hat die Beziehungen zum russischen Diktator Wladimir Putin in den vergangenen Jahren intensiv gepflegt, zugleich strebt Serbien nach einem EU-Beitritt. Auch in Bosnien-Hercegovina, wo die Bundeswehr zwischen 1996 und 2012 engagiert war, ist der russische Einfluss erheblich, nicht zuletzt über die serbisch dominierte Teilrepublik „Srpska“. Als „Hoher Repräsentant“ der Staatengemeinschaft ist dort seit August vorigen Jahres der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium und frühere Landwirtschaftsminister, der CSU-Politiker Christian Schmidt, im Amt. Grundlage seines Amtes ist das Abkommen von Dayton von 1994, an dem Russland seinerzeit beteiligt war, ebenso wie an der Schutztruppe SFOR.
Auch im Norden des Kosovo, wo viele ethnische Serben leben, hat Russland bedeutenden Einfluss, genießt Putin Ansehen. Es gehört zu den Sorgen im Westen, dass Moskau während seiner kriegerischen Aggression auch auf dem Balkan Streit und Unruhe weiter fördern könnte. Vor Lambrecht war im vergangenen Monat bereits Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für mehrere Tage in der Region, auch um zu zeigen, dass Deutschland trotz der Konzentration auf den Ukraine-Krieg die Region im Blick hat. Ministerin Lambrecht, die sich erst allmählich in die diplomatischen Aufgaben ihres Amtes einfindet, wird in der Region Gespräche mit ihren Amtskollegen und mit Soldaten der Bundeswehr führen.
Am Freitag will Lambrecht auf dem slowakischen Luftwaffenstützpunkt Sliac die dort stationierten Luftabwehrkräfte besuchen, die dort mit drei Patriot-Staffeln den Luftraum schützen, nachdem die Slowakei eigene Flugabwehrsysteme des Typs S300 an die Ukraine abgegeben hat. Lambrecht wird bei ihrem kurzen Besuch dort auch die niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren treffen. Denn neben rund 240 Soldaten der Bundeswehr mit zwei Patriot-Staffeln sind in Sliac auch etwa 130 niederländische Kräfte mit einer weiteren Staffel des Raketenabwehrsystems stationiert. Gemeinsam sind sie Teil von Verstärkungen der NATO an der Ostflanke des Bündnisses.
Nachdem die Bundeswehr-Kräfte mit kurzer Ankündigung im März sehr rasch von Norddeutschland aus in die Slowakei verlegt worden waren, müssen die Soldaten dort nun zunächst etwa vier Monate bleiben. Lambrecht besucht die Truppe dort vergleichsweise spät. Dem Inspekteur der Luftwaffe Ingo Gerhartz, der bereits vor einer anderthalb Wochen gemeinsam mit Journalisten in die Slowakei reisen wollte, hatte die Ministerin das kurzfristig untersagt. Nicht verhindern konnte oder wollte Lambrecht, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorige Woche die deutsch-niederländische Truppe in der Slowakei besuchte.