Krieg in Syrien : Der Druck auf Assad und Putin muss wachsen
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Völlig zerstört: In der syrischen Stadt Aleppo tobt der Krieg seit Wochen besonders heftig. Bild: Reuters
Eine Debatte über die Verantwortung Deutschlands als handelnder Akteur im Syrien-Krieg ist überfällig. Hören wir auf, nur noch über Flüchtlingsverhinderungsabkommen zu reden. Ein Gastbeitrag.
Der Krieg in Syrien ist die Hölle. Einerseits lassen uns Abwürfe von Fassbomben über Aleppo und russische Angriffe auf Hilfskonvois erschaudern. Andererseits macht sich ein Gefühl breit, wir könnten abstumpfen. Währenddessen: Putins Russland handelt und schafft ein neues Tschetschenien. Trotz vielfältiger diplomatischer Bemühungen stehen wir wie bei Ruanda und Srebrenica vor einem Versagen der Weltgemeinschaft.
Deutschland ist Teil dieser Weltgemeinschaft, die innerhalb der Vereinten Nationen Verantwortung trägt: Verantwortung für Humanität und Hilfe, Verantwortung zum Schutz. Uns in Deutschland verbindet mit diesem Krieg ein weiterer Aspekt. Mit mehr als 350000 syrischen Geflüchteten und Millionen Ehrenamtlichen, die ihnen hier helfen, sind wir unmittelbar mit dem Leiden in Syrien verbunden. Was dort passiert, kann uns nicht nur aus moralischen Gründen nicht egal sein.
Die Greueltaten des „Islamischen Staates“ sind unfassbar und bedrohlich – bis zu uns. Wenn wir nach Syrien schauen, sollten wir allerdings zwei Aspekte anerkennen: Assad verantwortet zusammen mit seinen Verbündeten die weit überwiegende Mehrzahl der zivilen Toten. Er und sein Regime verschärfen den Krieg und verhindern jeden Fortschritt der von den UN geleiteten Friedensverhandlungen. Und: Russland beteiligt sich mit der Bombardierung der Zivilbevölkerung in Aleppo an Kriegsverbrechen und heizt damit wie kein anderes Land den Konflikt an. Gerade deswegen ist der Druck auf Russland auch durch Sanktionen so notwendig.
In Syrien geht es um fünf Punkte
Eine Debatte über die Verantwortung Deutschlands als handelnder Akteur ist überfällig. Hören wir auf, nur noch über Flüchtlingsverhinderungsabkommen zu reden. Außenpolitik ist mehr. Mit Blick auf Syrien geht es dabei kurzfristig um fünf Punkte.
Erstens: Deutschland ist dieses Jahr einer der größten Geber humanitärer Hilfe für Syrien und die Region. Das ist gut. Aber verantwortungsvoll zu agieren erfordert mehr. Statt diese wirkungsvolle Unterstützung zu verstetigen, kürzt die Regierung die verbindlichen Zusagen für das kommende Jahr. Das erschwert die Arbeit der Hilfsorganisationen, die Planungssicherheit brauchen. Das Welternährungsprogramm verzeichnet beispielsweise 30 Prozent Effizienzverluste allein dadurch, dass Mittel nur kurzfristig bereitgestellt werden.
Zweitens: Natürlich sind Gespräche zwischen den Vereinigten Staaten und Russland notwendig. Doch die Zeiten der kalten Krieger als „letzter Instanz“ sind vorbei. Die EU-Außenminister sind in der Verantwortung, auf ihrem nächsten Treffen am Montag ihre Kräfte zu bündeln, eine gemeinsame Syrien-Strategie zu verabschieden und der Außenbeauftragten Mogherini ein starkes Mandat zu erteilen, mit dem sie sich für die EU in den UN-geleiteten Friedensverhandlungen und allen anderen Friedensbemühungen einbringt.
Drittens: Wir benötigen mehr Handeln der Weltgemeinschaft. Seit zwei Jahren hat der UN-Sicherheitsrat mehrfach einstimmig Resolutionen verabschiedet, in denen gefordert wird, den Zugang zu humanitärer Hilfe zu gewährleisten. Doch nichts passiert. Der deutsche Außenminister spricht erst von einer Luftbrücke, dann von einer Flugverbotszone, während sein Amt beides nur „schwierig“ findet. Das Ergebnis ist wieder: Nichts passiert. Es braucht mehr Druck auf Assad und Putin, damit sie die Bombardierung der Zivilbevölkerung endlich einstellen und ein sicherer Zugang für humanitäre Hilfe möglich wird. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln müssen die Vereinten Nationen unterstützt werden, eine Luftbrücke für die notleidenden Menschen in Syrien zu verwirklichen.
Krieg in Syrien : Aleppo steht wieder unter Beschuss
Wo bleiben die UN-Initiativen für eine Flugverbotszone?
Die Bundesregierung sollte zusammen mit ihren europäischen Partnern all ihr diplomatisches Kapital nutzen, so lange eine UN-Sicherheitsratsresolution wie die von Frankreich und Neuseeland vorzulegen, bis das, was in Syrien gerade passiert, verurteilt wird.
Viertens: Wo bleiben die UN-Initiativen, die eine Flugverbotszone für Assads Luftwaffe nicht nur fordern, sondern auch Wege dahin aufzeigen? Das Assad-Regime muss für die Abwürfe von Sarin, bunkerbrechenden Bomben und Fassbomben zur Verantwortung gezogen werden. Die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist das mindeste, was wir Assad entgegenhalten müssen. Das gilt auch für jeden, der ihm Beihilfe leistet. Der französische Vorstoß, wegen der russischen und syrischen Luftangriffe den Internationalen Strafgerichtshof einzuschalten, verdient jedenfalls unsere volle Unterstützung.
Fünftens: Wir dürfen nicht ignorieren, dass auch andere Staaten in Syrien eine unheilvolle Rolle spielen. Als ältester Verbündeter steht Iran dem Assad-Clan so nah wie niemand sonst in der Region. Die Politik Qatars, Saudi-Arabiens und ihrer Verbündeten führt zur Radikalisierung der sunnitischen Assad-Gegner. Auch auf diese Regierungen muss stärkerer Druck ausgeübt werden. Es kann nicht sein, dass sie weiter mit europäischen Waffen beliefert werden. Wir müssen unsere Abhängigkeit von ihrem Öl und Gas überwinden.
Die Autorin ist Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.