Russische Hooligans : Wie im Krieg, so im Fußball
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Angriff: Russische „Fußballfans“ stürmen den Fanblock der Engländer. Bild: WITTERS
Kritik an der Gewalt russischer Hooligans bei der EM wird in Moskau kaum geäußert. Stattdessen gibt es Lob für die Kraft und Männlichkeit der Täter – und Spott für Paris.
Russlands Staatsfernsehen schaltete in diesen Tagen, in denen das Ausland über Gewaltexzesse russischer Hooligans klagt, einen seiner Reporter aus Frankreich zu. Nach der Niederlage gegen die Slowakei fragte der Moderator der Sendung, wie die Stimmung im Stadion gewesen sei, nachdem doch jüngst in Marseille englische Fans in den Bereich der Russen vorgedrungen seien. Das sei andersherum gewesen, „unsere sind durchgebrochen“, korrigierte der Reporter. Empörung im Studio. Eine Frau fragte den Reporter, ob er überhaupt die Landesauswahl unterstütze. Der Mann rechtfertigte sich: Wenn es Probleme gebe, müsse man darüber reden.
Die Szene verdeutlicht den Zwiespalt in den russischen Reaktionen auf die Gewalt. Diese wird durchaus offiziell gerügt und die russischen Fans werden aufgefordert, die Gesetze ihres Gastlandes zu achten. Doch Sportminister Witalij Mutko und das Staatsfernsehen verbanden dies mit Schuldzuweisungen an die französischen Sicherheitsbehörden und „Provokateure“. Selbst Wladimir Putins Reaktion auf die Exzesse von Marseille lag auf der Linie, die Gewalt vor allem den Organisatoren in die Schuhe zu schieben. Nach Angaben des Kreml sagte der Präsident in einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats, man müsse aus der „französischen Erfahrung“ mit Blick auf die Sicherheit der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland „Lehren ziehen“. Am Freitag kritisierte Putin zwar „Massenschlägereien von Fans“ als „völliges Unding“, sprach aber, ehe er neuerlich die Sicherheitskräfte kritisierte, auch ein verkapptes Lob aus: Er, Putin, verstehe nicht, „wie unsere 200 Fans einige tausend Engländer verprügeln konnten“.
Es gab auch ausdrückliches Lob für die Gewalttäter. So äußerte Igor Lebedew, ein Vizepräsident der Duma, er könne „nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden“. Diese hätten die Ehre Russlands verteidigt. „Weiter so!“ Lebedew beschäftigt Alexander Schprygin, den Anführer des Allrussischen Fanverbands als Mitarbeiter. Dieser wurde dieser Tage zusammen mit 42 weiteren Russen in Frankreich von der Polizei festgesetzt und soll nun abgeschoben werden. Schprygin gilt als Rädelsführer rechtsextremer Fangruppen, forderte eine russische Nationalmannschaft mit „slawischen Gesichtern“. Ein Jugendfoto zeigt ihn mit Hitlergruß, jüngere Bilder zeigen ihn an der Seite Putins. Russlands Fans brüsten sich immer wieder mit der Nähe zu Politik und Behörden – und auch mit ihrem paramilitärischen Training, wie die „Nowaja Gaseta“ am Freitag berichtete. Letzteres sei nur möglich, wenn die Behörden dieses Treiben billigten.
Offizielle Rückendeckung
Auch offiziell gibt man Schprygin und seinen Leuten Rückendeckung. Das Außenministerium bestellte im Streit um Festsetzung und Abschiebung den französischen Botschafter in Moskau ein, um dagegen zu protestieren, dass Russen „diskriminiert“ würden. Außenminister Sergej Lawrow sagte auch, man könne vor den „absolut provozierenden Handlungen von Fans anderer Länder nicht die Augen verschließen“. Diese träten die russische Nationalflagge mit Füßen, beleidigten die russische Führung und führende Athleten.
So wird das Bild von Russen als Opfern einer missgünstigen Mitwelt aufrechterhalten, ein Kernerzählstrang Putins. Der Übergang zu demonstrativer Geringschätzung des angeblich verweichlichten Europas, seiner Werte und Regeln, ist fließend – nicht nur bei Fanverbandsführer Schprygin, der die EU als „Gefängnis der Völker“ bezeichnet hat. Nachdem die Staatsanwaltschaft von Marseille die russischen Hooligans als „sehr gut vorbereitete Kämpfer“ bezeichnet hatte, schrieb Wladimir Markin, der Leiter des mächtigen Ermittlungskomitees, auf Twitter über die Franzosen: „Ein normaler Mann, so wie er sein soll, erstaunt sie. Sie sind schon daran gewöhnt, ‚Männer‘ auf Schwulen-Paraden zu sehen....“
Heimatverteidigung
Putins Sprecher hielt es für nötig hervorzuheben, Lebedew und Markin könnten nicht den offiziellen Standpunkt Russlands wiedergeben. Zugleich bedienen aber auch die Staatsmedien das Gefühl, die russischen Hooligans hätten das Land verteidigt. Besonders brachte dies ein Kommentar auf den Punkt, der nun auf der Website der Staatsnachrichtenagentur Ria Nowosti prominent plaziert war. Der Autor, Maxim Kononenko, schrieb, er schäme sich nicht für das, was in Frankreich geschehen sei. „Mir gefällt das. Mir gefällt, dass man Russen fürchtet.“
Er sei ein friedlicher Mensch, spüre aber Genugtuung, wenn die „europäische Polizei“ sich fürchte, den „russischen Fans“ nahe zu kommen, angesichts von deren „Kraft, Stärke und Konsequenz“. Er, Kononenko, schäme sich nur, wenn ein Russe sagte, Europas Gesetze seien richtig und Russlands falsch. „Soll es doch in der Hölle brennen, dieses Europa.“ Denn „europäische Beamte“ hätten „Krieg gewollt“, mit „zweifelhaften Geschichten“ über Doping, mit „Lügen“ über die Krim-Besetzung und Bedrohungen für das Baltikum. Man müsse weder etwas von Fußball oder Kriegführung verstehen, um „tiefe Genugtuung“ darüber zu empfingen, „dass dein Volk im Krieg gewinnt. Und sei es in einem so kleinen und auf den ersten Blick kriminellen Krieg, wie dem Krieg von Fußballfans.“