Testfall für Meloni : Streit über Verhaltenskodex für Seenotretter bahnt sich an
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Migranten gehen am 11. Dezember 2022 im Hafen von Salerno von Bord der Geo Barents. Bild: EPA
Private Seenotretter müssen nach einem Einsatz direkt einen Hafen ansteuern. Sonst droht nach dem neuen Verhaltenskodex der Regierung Meloni ein Bußgeld. Die Besatzung der Geo Barents widersetzt sich diesen Regeln.
In Italien bahnt sich ein Konflikt zwischen privaten Seenotrettern und der Regierung in Rom an, die zum Jahreswechsel neue Vorschriften für den Einsatz von Rettungsschiffen im zentralen Mittelmeer erlassen hatte. Das von „Ärzte ohne Grenzen“ betriebene Rettungsschiff Geo Barents nahm nach Angaben der Nichtregierungsorganisation bei drei Rettungseinsätzen vor der libyschen Küste zwischen Dienstagabend und Mittwochmittag zunächst 69, dann 61 und schließlich weitere 107 Menschen von Schlauchbooten an Bord. Unter den insgesamt 237 geretteten Bootsflüchtlingen seien mehr als 80 Minderjährige sowie ein Baby, teilte die Organisation mit.
Schon nach dem ersten Rettungseinsatz, den die Besatzung der Geo Barents gemäß dem neuen Verhaltenskodex sofort der zuständigen italienischen Seenotrettungsleitstelle gemeldet hatte, war dem Rettungsschiff der Hafen La Spezia in der nordwestitalienischen Region Ligurien zum Anlegen zugewiesen worden.
Die von der Mitte-rechts-Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni erlassenen neuen Vorschriften sehen vor, dass private Seenotretter nach einem einzigen Einsatz sofort den zugewiesenen Hafen ansteuern müssen. Mehrmalige Rettungseinsätze bis zum Erreichen der „Kapazität“ der Rettungsschiffe wären demnach faktisch kaum noch möglich.
Der Wortlaut des Kodex ist jedoch hier nicht ganz eindeutig. Ausdrücklich verboten sind mehrere Einsätze hintereinander nicht. Deshalb wird mit Spannung erwartet, ob die italienischen Behörden im Fall der Geo Barents ein Bußgeld verhängen.
„Kosten für Einsätze sollen erhöht werden“
Bisher hatten sich private Seenotretter seit dem Jahreswechsel an den neuen Verhaltenskodex gehalten und sofort Kurs auf die zugewiesenen Häfen genommen. Während Schiffe der italienischen Küstenwache und der Kriegsmarine mit geretteten Bootsmigranten an Bord weiterhin Häfen auf Sizilien oder in den Südregionen Kalabrien und Apulien anlaufen konnten, wurden privaten Rettungsschiffen weit entfernte Häfen in Mittel- und Norditalien wie Ancona, Livorno oder Ravenna zugewiesen.
Dem Rettungsschiff Ocean Viking von „SOS Méditerranée“ mit 37 Migranten an Bord sowie der Geo Barents mit 73 Bootsflüchtlingen war Anfang Januar der Hafen Ancona in der nördlichen Adria zugewiesen worden.
Die Hafenstadt befindet sich mehr als 1500 Kilometer vom Einsatzort der Rettungsschiffe vor der Küste Libyens und Tunesiens entfernt. Die Fahrt durch raue See nahm für die beiden Schiffe jeweils vier bis fünf Tage in Anspruch. Die Zuweisung derart weit entfernter Häfen verfolge „einzig das Ziel, unsere Schiffe so lange wie möglich vom zentralen Mittelmeer fernzuhalten und die Kosten für unsere Einsätze zu erhöhen“, kritisierte Juan Matías Gil, Missionschef von Ärzte ohne Grenzen. Im Vergleich zum üblichen Ausschiffen in Sizilien verursache die Fahrt bis nach La Spezia „allein 70.000 Euro zusätzlicher Treibstoffkosten“, sagte Gil.
Innenminister: Retter ermutigen Migranten
Die Geo Barents, deren Besatzung sich bei dem jüngsten Rettungseinsatz nun erstmals den neuen Anweisungen widersetzte, befand sich mit den 237 Bootsmigranten an Bord am Donnerstagmorgen vor der Ostküste Tunesiens und steuerte in Richtung Norden. Die Ankunft des Schiffes im etwa 1000 Kilometer entfernten Hafen von La Spezia wird für Samstagnachmittag erwartet.