Konflikt in der Ostukraine : Urlaub unter Waffen
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Sommerfrische: Im Pavillon der Freiwilligen am Asowschen Meer Bild: Oleksander Techynskyy
Am Asowschen Meer bereitet ein Bataillon Freiwilliger den Sturm auf die Stellungen der Separatisten vor. Viele kommen aus nationalistischen Bewegungen.
Oben auf der Steilküste, in einem hölzernen Pavillon, steht ein junger Mann in Tarnkleidung und hält ein Sturmgewehr vor der Brust. Der Kämpfer will Anton genannt werden. Er zündet sich eine Zigarette an, nimmt einen tiefen Zug und schaut hinaus auf das Asowsche Meer. Die Wellen schlagen. Unten am Strand aalen sich Badegäste unter roten Sonnenschirmen. Kindergeschrei tönt von den bunten Hüpfburgen herüber. „Ja, es ist ein seltsames Bild“, sagt Anton. Er meint sich selbst und die nur wenige Meter entfernten Sommerfrischler. Aus dem Funkgerät, das an Antons Schulter befestigt ist, ruft alle paar Augenblicke eine tiefe Männerstimme nach Kontakt.
Anton kommt aus der Region um die Hauptstadt Kiew fast 800 Kilometer weiter nordöstlich. Er sagt, er habe im ukrainischen Gastransport gearbeitet. Dann meldete er sich zum Bataillon Asow: einem der freiwilligen Kampfverbände, die der ukrainischen Armee helfen sollen, bewaffnete Separatisten aus den Städten und Städtchen der Ostukraine zu vertreiben. Zu diesem Bataillon unter dem Kommando eines Mannes namens Andrej Bilezki gehören nach eigenen Angaben bis zu 700 Männer. Rund 300 Kämpfer sollen im Badeort Ursuf stationiert sein, wo sich im Sommer Tausende Arbeiter aus den Regionen Donezk, Luhansk und Charkiw als Urlaubsgäste zu den gut 2000 Einwohnern gesellen.
Der Pavillon mit der schönen Aussicht, in dem Anton pausiert, gehört zu einer ehemaligen Sommerresidenz des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Das Areal ist groß und gepflegt, hier und da stehen kleine Häuschen. Es riecht nach Nadelbäumen und Meerwasser. So luxuriös wie die Präsidentenbehausung nahe Kiew mit ihren goldenen Wasserhähnen sollen die Häuschen dieses Anwesens aber nicht ausgestattet sein. Janukowitsch hatte es Ende der neunziger Jahre in seiner Zeit als Gouverneur der Region Donezk genutzt. Nun haben sich die Asow-Männer hier eingerichtet. Über das Eingangstor malten sie überlebensgroße Kosakenkämpfer. Und wo einst Janukowitsch mit seiner Gattin flanierte, stehen jetzt Geländewagen, an denen Asow-Kämpfer schwere Metallplatten anbringen, um sie in gepanzerte Fahrzeuge zu verwandeln.
Wie viele seiner Kameraden hat der blonde Anton nicht in der Armee gedient. Bei der Ausbildung der Freiwilligen vor wenigen Monaten hielt er zum ersten Mal eine Waffe in der Hand. Nun liegen seine Finger ständig auf dem Holz des sowjetischen Gewehrs. „Es hat sich gezeigt, dass ich ein guter Schütze bin“, sagt Anton und schiebt ein Lächeln hinterher. Er lobt das intensive Training im Bataillon: Schießen, Strategie und Ausdauer. Wie es dann wirklich ist zu kämpfen, merke man freilich erst in der Schlacht. Anton war dabei, als im Juni die nahegelegene Hafenstadt Mariupol von separatistischen Kämpfern befreit wurde. Vor wenigen Tagen hat sein Bataillon zusammen mit dem Bataillon Schachtjorsk die Kleinstadt Marjinka etwas westlich von der Millionenstadt Donezk zurückerobert. Bei dieser Aktion habe es viele schwer Verwundete gegeben, sagt Anton. Er lerne nach und nach, dass man sich im Kampf sehr sorgfältig verhalten müsse, wolle man nicht auch getroffen werden.
Das Bataillon ist dem Innenministerium beziehungsweise der Nationalgarde unterstellt, offiziell hat es keine schweren Waffen. Die Männer sind eigenen Angaben zufolge nur Hilfstruppen bei der Erstürmung der von Separatisten besetzten Häuser und Stadtteile. Ein blutjunger Kommandeur namens Danil, der selbst aus der Gegend stammt, berichtet, dass das Bataillon bei der örtlichen Bevölkerung anfangs gefürchtet worden sei. Die Leute hätten sie als „Bestrafer“ bezeichnet. Nun seien die meisten jedoch froh, sagt er, dass die Kämpfer ihnen zur Hilfe kämen. Als sie das Örtchen Marjinka erstürmten, habe unter der Kontrolle der Terroristen zuletzt kein einziges Geschäft mehr geöffnet gehabt. Keine einzige Frau hätten sie dort vorgefunden. Auch Anton berichtet von Misstrauen unter den Badegästen, wenn er mit Kameraden durch die kleinen Gassen mit den Imbissbuden spaziere. Ein paar kleinere Zwischenfälle und Streitigkeiten mit betrunkenen Urlaubern habe es gegeben. „Aber viele Leute verstehen auch, warum wir hier sind.“