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Kommentar : Ein Sieg für Putin

Putin und Merkel: Kein offener Widerspruch? Bild: dpa

Die Münchner Rede des russischen Präsidenten Putin gegen Amerika ist ein Grund zur Sorge. Die deutsche Reaktion darauf auch. Ist die Abhängigkeit Deutschlands von russischer Energie schon so groß? Ein Kommentar von Berthold Kohler.

          3 Min.

          Im Kalten Krieg hätte man das einen Überraschungsangriff genannt. Einen gelungenen. Die Philippika des russischen Präsidenten Putin gegen Amerika traf auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die sich als politischer Salon der Nato versteht, kaum auf Widerstand. Schon die Amerikaner, gelähmt vom Irak-Desaster und vereinnahmt vom Präsidentschaftswahlkampf, zahlten es Putin nicht mit gleicher Münze heim.

          Die Reaktion der deutschen Politik fiel noch schwächer aus. Sie bestand hauptsächlich aus Schweigen, garniert mit ein paar Verlegenheitsfloskeln. SPD-Chef Beck lobte sogar die Offenheit und Ehrlichkeit Putins; sie sei das Gegenteil von Kaltem Krieg. Nach dieser Definition müsste es im Bundeskabinett von kalten Kriegern wimmeln. Zu einer entsprechenden „Offenheit“ Putin gegenüber fühlte sich jedenfalls im Münchner Plenum kein deutsches Regierungsmitglied berufen.

          „Strategische Partnerschaft“

          Schon gleich nach dem ersten Schrecken suchte man von deutscher Seite die Bedeutung der Äußerungen Putins herunterzuspielen. Die Absicht, Russland wieder als Weltmacht zu präsentieren, sei im Kontext der russischen Wahlen im nächsten Jahr zu sehen. Der Auftritt solle daher vor allem das russische Volk beeindrucken. Auch habe sich Putin weiterhin kooperationsbereit gezeigt, etwa im Fall Iran.

          Putin in München: Gelungener Überraschungsangriff
          Putin in München: Gelungener Überraschungsangriff : Bild: AP

          Die deutschen Versuche, in einem Teller voller Haare noch etwas Suppe zu finden, sind nicht gänzlich unverständlich. Deutschland hat ein Interesse an möglichst guten Beziehungen zu Russland - zu einem verlässlichen Russland, dem Putin in seiner siebenjährigen Amtszeit zweifellos größere Stabilität verschafft hat. Das Wort von der „strategischen Partnerschaft“ ist der Bedeutung der Beziehungen angemessen. Russland stellt einen wichtigen Faktor im internationalen Krisenmanagement dar, an dem auch Deutschland mehr und mehr mitwirkt. Auf dem europäischen Kontinent kreuzen sich deutsche und russische Interessen unmittelbar. Die Wirtschaftsbeziehungen wachsen, zuletzt besonders auf dem lebenswichtigen Energiesektor.

          Rekonstruktion russischer Einflusssphären

          Doch gerade die schon bestehende Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gas- und Öllieferungen und die daraus resultierenden Sorgen machen deutlich, dass das deutsch-russische Verhältnis nicht nur aus unerschütterlichem Vertrauen und einer vollständigen Übereinstimmung der Interessen besteht.

          Putin, das zeigte auch die Münchner Rede, ist nicht nur an der Rekonstruktion russischer Staatlichkeit gelegen. Für ihn zählt dazu auch die Rekonstruktion russischer Einflusssphären. Moskaus Energiepolitik ist Diener dieses strategischen Unterfangens, dem aus russischer Sicht vor allem der alte Gegner entgegensteht: die Atlantische Allianz.

          Blockdenken warf ihr in München ein russischer Präsident vor, dessen Rede aus wenig anderem bestand. Putin weiß mit Blöcken umzugehen, vor allem mit brüchigen. Am Samstag setzte er bei der Nato den Keil an, im breitesten und tiefsten ihrer Risse: dem während und wegen des Irak-Konflikts zwischen Amerika und dem „alten Europa“ entstandenen.

          Kühl kalkuliertes Eindreschen auf Washington

          Dieser Spalt ist nur an der Oberfläche zugekleistert worden. Auch den neuen Haarriss, den das Thema Raketenabwehr verursacht hat, bearbeitete Putin sogleich. Und das nicht ohne Erfolg. Die Hoffnung amerikanischer Teilnehmer, dass Putins kühl kalkuliertes Eindreschen auf Washington Amerika und Europa wieder zusammenschweißen werde, könnte sich als trügerisch erweisen.

          Denn Putins Suada, die Amerika und dessen angeblichen Wunsch nach der Alleinherrschaft als Quelle aller Unsicherheit in der Welt darstellte, Europa aber weitgehend schonte, wurde nicht nur schweigend hingenommen. Das Geflüster, dass Putin nicht in allem unrecht, vielmehr sogar das Recht habe, sich bedroht zu fühlen, war schon auf dem Münchner Parkett zu hören. Auffallend häufig in den deutschen Reihen. Auch dem bürgerlichen Lager fällt es inzwischen schwer, die Politik des amerikanischen Präsidenten zu verteidigen.

          Demonstrative Akte notwendig

          Doch ist die Kritik an einer Regierung das eine, die Verteidigung eines bewährten Bündnisses, auf dem immer noch Deutschlands Sicherheit gründet, gegen Spaltungsversuche von außen das andere. Hierzu sind auch demonstrative Akte notwendig. Es reicht nicht, dass der Sprecher der Bundesregierung zwei Tage nach einer solchen Rede bekanntgibt, das Kabinett teile Putins Auffassung in einer Reihe von Punkten nicht - wenn doch die Kanzlerin, der Außenminister und der Verteidigungsminister die Gelegenheit hatten, dem lupenreinen strategischen Partner Putin direkt, an Ort und Stelle, in gleicher freundschaftlicher Offenheit zu widersprechen.

          Auch der Hinweis, in vertraulicher Runde rede man schon Tacheles, kann den Eindruck einer gewollt schwachen Reaktion nicht beseitigen. In der Opposition hatte die Union den Kanzler Schröder dafür gegeißelt, öffentlich keine Kritik an Putin zu üben. Nun war es sogar der russische Präsident selbst, der die größte Öffentlichkeit und die größte Wirkung für seinen Auftritt gesucht hatte. Doch niemand war willens oder in der Lage, ihm in diesen Schranken entgegenzutreten.

          Man kommt an dem Wort „Appeasement“ nicht leicht vorbei, wenn man in Gänze die deutsche Reaktion auf Putins Rede beschreiben will. Gewöhnlich wird diese Milde mit dem Argument begründet, man habe „keine Alternative“ zu der Partnerschaft mit Russland. Doch bei solcher Bedingungslosigkeit darf es nicht bleiben. Es könnte jemand auf den Gedanken kommen, die Abhängigkeit Deutschlands von russischer Energie sei schon so groß, dass sie beginne, politisches Handeln zu beeinflussen. Am schlimmsten wäre es, wenn dieser Jemand im Kreml säße.

          Berthold Kohler
          Herausgeber.

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