Kiew sieht Hinweise : Wurden die Brände um Tschernobyl absichtlich gelegt?
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Der Rauch der Waldbrände zog bis in die hundert Kilometer entfernte Hauptstadt Kiew. Bild: Reuters
Immer neue Waldbrände um Tschernobyl stellen die Ukraine vor große Herausforderungen. Der Rauch liegt sogar über der Hauptstadt Kiew. Laut Regierung mehren sich die Hinweise auf Sabotage in ohnehin schwierigen Zeiten.
Im Norden der Ukraine kämpfen die Behörden seit Donnerstag gegen neue Waldbrände in dem radioaktiv belasteten Gebiet um das frühere Atomkraftwerk Tschernobyl. Zugleich wird nach möglichen Schuldigen gesucht. Innenminister Arsen Awakow nannte am Samstagnachmittag nach einer Sitzung des Krisenstabes zwei wahrscheinliche Ursachen für die Feuer: Brandstiftung und den Suchowej, einen warmen, trockenen Fallwind. Laut Internetseite des Ministeriums sagte Awakow: „In erster Linie sind die Brände aufgrund eines starken Suchowejs ausgebrochen, der Stromleitungen gekappt hat.“ Doch es gebe „gewisse Tatsachen, die darauf schließen lassen, dass jemand mit Absicht Feuer gelegt hat“.

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Eine Expertengruppe unter Leitung seines neuen Beraters General Wladyslaw Bucharew sei in der Region an der Arbeit, es werde ermittelt. Bucharew war zuletzt ein ranghoher Geheimdienstmann gewesen. Der Krisenstab traf sich in Owrutsch nahe der Grenze zu Weißrussland; an der Sitzung nahmen auch die Chefs des Präsidialamts und des Nationalen Sicherheitsrats der Ukraine teil. „Auch eine sorglose Einstellung zur Natur kann man nicht ausschließen“, fuhr der Minister fort. Trotz extremer Trockenheit würden junge Leute aus Spaß Grasfeuer entfachen. In den letzten drei Tagen habe man „einige Personen festgenommen, die beim Anzünden von Gras oder Abfällen in der Nähe von Wäldern erwischt wurden“.
„Geplante Sabotage“ nicht ausgeschlossen
Auch ein weiterer Berater des Ministers, Sorjan Schkyrjak, schrieb auf Facebook, dass im Innenministerium als Ursache der seit zwei Wochen auftretenden Brände „geplante Sabotage“ nicht ausgeschlossen werde. „Bisher weist alles darauf hin, dass das eine im Voraus durchdachte Kampagne war, bei der die Windrichtung einberechnet wurde.“ Das Ziel der mutmaßlichen Auftraggeber sei klar: Das sei in Zeiten der Quarantäne wegen des Coronavirus „ein Versuch, die Lage zu destabilisieren, Hysterie und Panikstimmung zu erzeugen“. Man rufe die Bürger auf, die Behörden über „mögliche Brandstifter“ zu informieren.
Winde aus westlicher bis nördlicher Richtung trieben Rauch und Staub bis in die knapp 100 Kilometer entfernte ukrainische Hauptstadt Kiew. Zunächst brannten etwa 3000 Hektar in der weiteren Umgebung des stillgelegten Atomkraftwerks. Am Dienstag voriger Woche hatte der Katastrophenschutz die Brände um Tschernobyl für weitgehend besiegt erklärt. Am Wochenende sagte Awakow in einer Videobotschaft, das neue Problem seien Brände im Gebiet Schytomyr nordwestlich der Hauptstadt. Insgesamt seien es 15; sechs Brände seien gelöscht, fünf eingedämmt worden. 38 Häuser wurden zerstört.
Keine Gefahr wegen Radioaktivität
Soweit auf der Landkarte im Video ersichtlich, waren die Feuer alle im Norden des Gebiets, die meisten nur wenige Kilometer von der Grenze zu Weißrussland entfernt. Drei Flugzeuge und 100 Fahrzeuge seien dort „pausenlos“ im Löscheinsatz, so Awakow. Die Bürger in Kiew und Umgebung sollten sich „ein bisschen schützen und nicht hinausgehen“. Bei Tschernobyl gebe es jetzt nur noch zwei kleine Brandherde, wo 700 Mann im Einsatz seien. „Es gibt keine Gefahr hinsichtlich des Strahlungsniveaus“, sagte der Minister. Man hoffe, „in zwei, höchstens drei Tagen die Lage bewältigt zu haben“.
Ukrainische Medien berichteten, nach den Normen der Luftreinheit sei Kiew am Wochenende die am stärksten verschmutzte Großstadt der Welt gewesen. Den Behörden zufolge waren die Staubwerte um ein Vielfaches über der Norm, radioaktive Strahlung sei jedoch nicht aufgetreten. In Polen traten Gerüchte auf, wonach eine radioaktive „Tschernobyl-Wolke“ nach Westen ziehe. Die zuständigen Behörden, zuletzt am Samstag Klimaminister Michal Kurtyka, widersprachen diesen „unzutreffenden Angaben entschieden“. Fast 60 Messstationen in Polen beobachteten die Radioaktivität, es gebe keinen Grund zur Besorgnis. Die Bundesregierung schickt Löschtechnik und Dosimeter zur Messung der Radioaktivität nach Kiew.