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Scholz in Südamerika : Freunde in dieser Zeit

Bundeskanzler Scholz am Sonntagmorgen in Buenos Aires. Bild: dpa

Scholz sucht in Südamerika Partner gegen Russland – und China. Mit ihm reist dafür eine Wirtschaftsdelegation.

          3 Min.

          In Argentinien, wie in vielen Teilen Lateinamerikas, ist die Ge­schichte nie weit, vom Kampf ge­gen die Kolonialmächte bis zur Er­innerung an die Diktaturen der Vergangenheit, und so stößt auch Bundeskanzler Olaf Scholz gleich auf sie. Kurz nach seiner Landung in Buenos Aires steht er bei der Niederlegung eines Kranzes am Denkmal San Martín in der argentinischen Hauptstadt. Der General José San Martín hat von diesem Platz aus 1810 seinen Feldzug gegen die spanische Kolonialmacht begonnen, heute gilt er als Befreier des Landes.

          Matthias Wyssuwa
          Politischer Korrespondent in Berlin.

          Die Kapelle spielt Hymnen, Scholz schreitet zum Kranz, richtet die Schleife, die Hitze drückt. Dann geht es weiter ins Außenministerium und zum Gespräch mit dem Präsidenten Alberto Fernández. Da geht es nicht mehr um die Vergangenheit, sondern um die Lage in Welt – und wie die Zukunft aussehen könnte.

          Scholz ist am Samstagabend in Argentinien eingetroffen, der ersten Station seiner ersten Lateinamerikareise als Kanzler. Am Sonntag ging es weiter nach Santiago de Chile, an diesem Montagnachmittag fliegt er schließlich zur wichtigsten Station: Brasilia, Hauptstadt Brasiliens. Erst am Mittwoch wird Scholz wieder in Berlin erwartet. Damit widmet der Kanzler der Region viel Zeit und Aufmerksamkeit, und wie so vieles gerade, ist auch das ist nicht ganz ohne den russischen An­griffskrieg in der Ukraine und seine Folgen zu verstehen – und den Bedarf an neuen Partnern, nicht nur beim Handel und als Rohstofflieferanten. „Gerade in diesen Zeiten sind Freundschaften wichtig“, sagt Scholz, als er zusammen mit Fernández in den Innenhof des Ministeriums und vor die Presse tritt.

          Drückende Probleme: Inflation, Schulden, soziale Ungleichheit

          Nicht nur die Geschichte ist aber hier allgegenwärtig, auch die drückenden Pro­bleme sind es. Scholz vergisst zwar nicht, zu erwähnen, dass er im Land des Fußballweltmeisters angekommen ist. Doch auch der Titel kann nicht vergessen ma­chen, dass die Inflation im Land mit seinen gut 47 Millionen Einwohnern im Dezember fast 95 Prozent erreicht hat, die Schulden hoch sind, die Armut ein Drama ist und in diesem Jahr Wahlen anstehen. In Chile mit seinen knapp 20 Millionen Einwohnern hatten sich erst vor wenigen Jahren an der gewaltigen sozialen Ungleichheit heftige Proteste entzündet, und seit 2021 versucht der linke Präsident Gabriel Boric die Lage zu verbessern. In Brasilien schließlich, dem Riesen der Region mit seinen gut 215 Millionen Einwohnern, wurde die im Ausland weit verbreitete Erleichterung über den Sieg von Lula da Silva schon von der Erschütterung über die heftigen Proteste in der Hauptstadt eingetrübt.

          Trotzdem ist die Region für Deutschland spannend, Stichworte der Reise sind nicht nur der Umweltschutz, sondern auch erneuerbare Energien, Wasserstoff und Rohstoffe. So wird Scholz von einem guten Dutzend Vorstandsvorsitzenden und -mitgliedern in der Wirtschaftsdelegation begleitet – die Bayer AG ist dabei, Volkswagen und Aurubis. Während auf der letzten Station in Brasilien der Schutz des Regenwalds zu den wichtigen Themen gehört, sind es auf den ersten beiden vor allem Rohstoffe, Energie und Handel.

          Nicht nur China will Lithium handeln

          Chile ist der wichtigste Lieferant von Kupfer weltweit, in Argentinien wird Erdgas gefördert, und in beiden Ländern gibt es Lithium, das so wichtig ist für E-Autos und Handybatterien. China hat das längst erkannt und ist in der Region zu einem wichtigen Akteur aufgestiegen. Der Abbau von Kupfer und Lithium aber gilt als besonders schmutzig. Deutschland versucht sich für die Modernisierung des Abbaus als Partner anzubieten und so ins Geschäft zu kommen. Im Kanzleramt ist man sich bewusst, dass man die schmutzigen Aufgaben beim Abbau wohl zu lange anderen überlassen hat, um sich selbst die Hände nicht schmutzig zu machen. Also den Chinesen. Und dass es so nicht mehr geht. Deutschland will nun auch dadurch zum attraktiven Partner werden, indem es die Rohstoffe nicht nur ausführen und selbst veredeln und weiterverarbeiten will, wie China es tut. Vielmehr sollen weitere Stufen der Wertschöpfung in den Ländern verbleiben. In dem Innenhof spricht Scholz von „guten nutzbringenden Effekten für das Land“ des Abbaus. Und ohne China direkt zu er­wähnen: Es solle keine Politik sein, „die nur auf das Interesse der Länder, die Rohstoffe selbst verarbeiten wollen, ausgerichtet ist“.

          Alberto Fernández lobt die „sehr guten Gespräche“ und macht deutlich, dass man mit Blick auf den Ukrainekrieg die Sorgen teile – auch wenn das Land keine Waffen schicken werde. Er macht klar, dass man sich mehr deutsche Investitionen wünsche. Einig sind sich beide auch, dass endlich das Abkommen zwischen den MERCOSUR-Staaten und der EU zu­stande kommen soll. Fast 20 Jahre wurde es verhandelt, doch seit 2019 tut sich we­nig – in einigen EU-Ländern gab es Vorbehalte wegen der Passagen zu Umweltschutz und Sozialstandards, aber in Ländern wie Frankreich protestierten Landwirte auch gegen die drohende Konkurrenz aus Argentinien. Scholz will, dass eine Einigung schnell gefunden wird, und auch Alberto Fernández sagt, man wolle das Abkommen abschließen.

          Schon am Samstagabend kurz nach der Kranzniederlegung kann Scholz immerhin zur Unterzeichnung einer Absichtserklärung applaudieren, auch in Santiago de Chile werden weitere Erklärungen un­terschrieben. Es geht um die Förderung von Start-ups, um Forschung, Innovation und Bergbau – verbindlich sind die Papiere nicht. Bevor aber in Chile am Sonntagabend Erklärungen unterzeichnet werden, soll es auch hier erst wieder um Geschichte gehen: Gemeinsam mit dem Präsidenten wird Scholz nach der Landung ein Museum besuchen. Es erinnert an die Opfer der Verbrechen der Diktaturen im Land.

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