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Vierter Toter in Belarus : Die Mörder kommen in Zivil

Menschen versammeln sich im Gedenken an den verstorbenen Roman Bondarenko am Donnerstagabend in Minsk. Bild: Reuters

Roman Bondarenko ist mindestens das vierte Todesopfer der Proteste in Belarus. Doch die Täter bleiben ungestraft. Alexandr Lukaschenka hat eine Repressionsspirale in Gang gesetzt.

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          Seit Donnerstagabend trauern zahlreiche Belarussen um Roman Bondarenko. Der 31 Jahre alte Minsker starb in einem Krankenhaus, nachdem ihn maskierte Schläger in Zivil verprügelt hatten. Bondarenko wohnte an einem Fixpunkt der Protestbewegung gegen Diktator Alexandr Lukaschenka: dem „Platz des Wandels“. Der war bis August ein normaler Hof zwischen Hochhäusern in einem Minsker Wohnviertel. Dann malte jemand auf ein Umspannhäuschen im Hof das Konterfei zweier DJs mit hochgereckten Armen. In einem Akt der Auflehnung hatten die beiden auf einem Regime-Fest mit dieser Pose die Protesthymne „Wandel“ der spätsowjetischen Band Kino gespielt (und wurden danach zu je zehn Tagen Arrest verurteilt). Das Porträt im Hof wird regelmäßig übermalt, aber von Sympathisanten wiederhergestellt.

          Friedrich Schmidt
          Politischer Korrespondent für Russland und die GUS.

          Weiß-rot-weiße Protestfahnen und Bändchen an Zäunen werden entfernt, aber sofort erscheinen neue. Auf dem „Platz des Wandels“ finden ständig Begegnungen und Konzerte statt, auch in anderen Höfen kommen die Nachbarn zusammen. Die Versammlungen bezeugen die Verankerung des Protests in der belarussischen Gesellschaft, stehen für Gemeinsinn und Aufbruch. So gab Roman Bondarenko, den Bekannte nun als Künstler und „aktiv“ beschrieben, Nachbarskindern Zeichenunterricht.

          Hirnödem und ein Schädel-Hirn-Trauma

          Am Mittwochabend kamen wieder einmal Maskierte in Zivil in den Hof, um Protestbändchen zu entfernen. Mit Kleinbussen, wie sie die Sicherheitskräfte nutzen. „Ich gehe raus!“, schrieb Bondarenko in einem Chat der Nachbarschaft. Im Hof geriet er mit den Schergen aneinander. Einer soll ihn angeherrscht haben, warum er „rotzfrech“ sei. Zeugen sagten, Bondarenko sei gestoßen worden, hart mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen und noch bei Bewusstsein in einen Kleinbus gebracht worden. Ins Krankenhaus kam Bondarenko laut Medizinern gut eineinhalb Stunden später mit einem Hirnödem, Schädel-Hirn-Trauma, Prellungen und Schürfwunden. Er wurde operiert, starb aber am Donnerstagabend.

          Tausende versammelten sich auf dem „Platz des Wandels“, um seiner zu gedenken, mit Fotos des Toten, Blumen, Kerzen. Die Täter dürften straflos bleiben. Die Polizei sprach nur allgemein von einem Konflikt mit „nicht gleichgültigen Bürgern“, die gegen „nichtstaatliche Symbole“ vorgegangen seien: die weiß-rot-weißen Bändchen. Das Ermittlungskomitee behauptete, bei Bondarenko sei eine „Alkoholvergiftung“ festgestellt worden. Ärzte widersprachen und spielten dem Newsportal Tut.by einen Befund zu, aus dem hervorgeht, dass bei dem Patienten keinerlei Alkohol festgestellt wurde. Am Freitag gab es weitere Gedenkaktionen für Bondarenko in Minsk und weiteren Städten.

          Seit Beginn der Protestwelle gegen die Fälschung der jüngsten Präsidentenwahlen im August sind mindestens vier Personen durch Gewalt des Regimes getötet worden. Es herrscht Straflosigkeit. Auch Anzeigen wegen Folter und Misshandlung durch Sicherheitskräfte bleiben unbearbeitet. Letztere treten seit kurzem noch härter auf als zuvor. So wurden bei dem Minsker Protestmarsch am vergangenen Sonntag mehr als tausend Personen festgenommen, ein neuer Rekord. Jüngste Festnahmen und Arreststrafen treffen besonders kritische Gesellschaftsgruppen: bei Hofversammlungen auftretende Musiker sowie Sportler, Studenten und Ärzte.

          „Hier riecht es nicht nach Revolution“

          Lukaschenka setzt auf Abschottung. Ausländische Diplome sollen nicht mehr anerkannt werden, Ärzte, die im Ausland arbeiten, nicht zurückkommen: „Reist du aus, kommst du nicht zurück“, drohte der Diktator. Am Freitag sprach Lukaschenka neuerlich von einem Umsturzversuch, fügte aber hinzu: „Hier riecht es nicht nach Revolution, weil es keine Revolutionäre gibt.“ Menschenrechtler zählen in Belarus derzeit mehr als 120 politische Gefangene. Unter ihnen ist die Protestwortführerin Marija Kolesnikowa, die vor gut zwei Monaten einen Versuch, sie in die Ukraine abzuschieben, durch Zerstörung ihres Passes vereitelte und seither in Untersuchungshaft sitzt. Seit mehr als drei Wochen darf Kolesnikowa ihre Anwältin nicht sehen.

          Die Gewalt, mit der sich Lukaschenka an der Macht hält, hat eine Repressionsspirale in Gang gesetzt: Er wechselt Kader aus, bezieht in die Niederschlagung der Proteste immer mehr Einheiten ein. Lukaschenka binde die Schergen „an sich mit der gemeinsamen Angst um seine Sicherheit für den Fall des Sieges der Demonstranten“, schrieb der Politanalyst Artjom Schrajbman. „Wenn alle besudelt sind, denkt niemand daran, auf die andere Seite überzulaufen.“

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