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Antisemitismus in Frankreich : Kollektives Scheitern

Polizeischutz: Paris, im jüdischen Viertel Le Marais Bild: Milan SZYPURA/HAYTHAM-REA/laif

In Frankreich werden immer häufiger Juden als Einzelpersonen Opfer des Antisemitismus. Der Staat muss nun endlich reagieren – denn in den Banlieues gedeiht der Hass.

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          Das Schicksal der 85 Jahre alten Mireille Knoll hat Frankreich erschüttert. Die gebrechliche, wehrlose Frau wurde in ihrer Pariser Wohnung mit elf Messerstichen getötet – vermutlich weil sie Jüdin war. Noch ist vieles unklar, die Ermittlungen laufen. Es herrscht keine Sicherheit über das antisemitische Motiv der beiden Täter. Aber dennoch markiert der Mordfall das Ende einer gewissen gesellschaftlichen Indifferenz angesichts des Antisemitismus. Mehrere zehntausend Franzosen versammelten sich in Paris zu einem „weißen Marsch“. Auch in vielen anderen französischen Städten wurde der Ermordeten gedacht.

          Michaela Wiegel
          Politische Korrespondentin mit Sitz in Paris.

          Der Name Mireille Knoll ist auf diese Weise zum Symbol für ein neues Bewusstsein angesichts der Anfeindungen geworden, denen die jüdische Minderheit seit Jahren ausgesetzt ist. Frankreich ist das Land Europas mit den meisten Juden, etwa 500.000, und mit den meisten Einwanderern aus dem arabisch-muslimischen Kulturraum, etwa fünf Millionen. Seit jeher findet der Nahost-Konflikt hierzulande ein starkes Echo. Aber über die Israel-Kritik hinaus hat sich in den vergangenen Jahren in Teilen der von hoher Arbeitslosigkeit und geringen Zukunftsperspektiven geprägten Einwandererjugend ein primitiver Judenhass ausgebreitet. Der langjährige Vorsitzende der Organisation „SOS Rassismus“, Malek Boutih, schlug schon 2015 Alarm. In einem Bericht mit der Überschrift „Génération radicale“ warnte er davor, dass die „frustrierte Einwanderungsjugend“ empfänglich für einfache Erklärmuster sei. Die Vorstellung von den privilegierten Juden und den unterdrückten Muslimen greife in der Banlieue.

          Immer mehr Angriffe auf Einzelpersonen

          Jetzt ist das Thema in der Bevölkerung angekommen. Lange Zeit wurde der Kampf gegen antisemitische Übergriffe vor allem als Angelegenheit der Betroffenen angesehen. Die Terrorattacke auf den jüdischen Supermarkt „Hyper Cacher“ an der Porte de Vincennes im Januar 2015 markierte einen traurigen Höhepunkt. „Wir fühlen uns schutzlos und allein“, sagte der damalige Vorsitzende des Dachverbands der jüdischen Organisationen, Crif, Roger Cukierman.

          Im vergangenen Jahr sind die antisemitischen Straftaten in Frankreich im Vergleich zum Vorjahr um 7,2 Prozent zurückgegangen. 311 antisemitische Straftaten wurden 2017 registriert. Dieser Rückgang erklärt sich vor allem durch die verstärkten Sicherheitsvorkehrungen. Vor Synagogen, jüdischen Schulen und anderen Einrichtungen wachen Tag und Nacht schwerbewaffnete Polizisten oder Soldaten. Zudem wurde auch von den jüdischen Gemeinden viel Geld in Überwachungskameras und private Sicherheitsleute investiert.

          Das führt dazu, dass die Übergriffe sich fortan immer häufiger in der Privatsphäre ereignen. Ende Januar etwa wurde ein acht Jahre alter jüdischer Junge mit Kippa unmittelbar vor seiner Haustür in Sarcelles bei Paris angegriffen. Auf diese Form von Attacken wie auch auf verbale Anfeindungen, judenfeindliche Graffiti oder Sachbeschädigung hat die Staatsgewalt noch keine Antwort gefunden.

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