Joe Biden über Afghanistan : „Das Chaos war unvermeidbar“
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Joe Biden am 18. August in Washington Bild: Reuters
Joe Biden hat in seinem ersten Interview seit dem Fall Kabuls Probleme bei der Evakuierung eingestanden und will den Einsatz notfalls verlängern. Ein Abzug ohne Chaos sei aber unmöglich gewesen.
Es hat einige Zeit gedauert. Nun legte sich Präsident Joe Biden fest. In einem Interview mit dem Sender ABC sagte er zunächst, man werde alles dafür tun, den 31. August als Abzugstermin einzuhalten. Dann fügte er mit Blick auf die chaotische Lage vor dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt hinzu: Wenn dann in Kabul noch amerikanische Bürger seien, „werden wir bleiben, bis wir sie alle rausgeholt haben“.
Biden äußerte in seinem ersten Interview seit dem Fall Kabuls, es gebe Probleme bei der Evakuierung. Zwar würden die Islamisten, die den Zugang zum Flughafen kontrollieren, „kooperieren“ und amerikanische Staatsbürger und Botschaftsmitarbeiter ausreisen lassen, sagte er. Mit Blick auf die früheren afghanischen Mitarbeiter der amerikanischen Streitkräfte und Behörden gebe es aber „ein bisschen mehr Schwierigkeiten“, sie herauszubekommen.
Noch 10.000 bis 15.000 Amerikaner im Land
Es wird geschätzt, dass sich noch 10.000 bis 15.000 Amerikaner im Land befinden. Biden sprach zudem von 50.000 bis 65.000 Helfern einschließlich ihrer Familien. Ausweichend antwortete er auf die Frage, ob man auch für diese den Einsatz notfalls verlängere. „Die Verpflichtung besteht darin, alle rauszuholen, die wir rausholen können, und alle, die rausgeholt werden sollten“, sagte er. Es hänge davon ab, ob es gelinge, 5000 bis 7000 Leute am Tag auszufliegen. Das Ziel heiße weiter, den Einsatz bis 31. August abzuschließen.
Im Pentagon wurde man deutlicher. Dort wandten sich Verteidigungsminister Lloyd Austin und Mark Milley, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, erstmals seit der Machtübernahme der Taliban an die Öffentlichkeit. Es sei offensichtlich: „Wir sind, was die Zahlen anbelangt, nicht annähernd da, wo wir seien wollen“, sagte Austin. Nicht nur das anfängliche Schweigen Bidens, auch der Umstand, dass die politische Führung des Pentagon zu Beginn der Krise die Kommunikation den operativen Militärs zugewiesen hatte, sorgte für Kritik. Nun äußerte Austin: Es gebe Berichte darüber, dass die Taliban Leuten den Zugang zum Flughafen verweigert hätten. Man werde „alles tun, was in unserer Macht steht“, um die Lage zu entschärfen und dafür zu sorgen, dass die Menschen zum Flughafen durchgelassen werden. Er hob aber hervor, dass es den amerikanischen Streitkräften nicht möglich sei, den Einsatz auf Kabul auszuweiten. Bis Donnerstag hat das Pentagon nach eigenen Angaben nur 7000 Personen ausgeflogen.
Milley sagte, der Flughafen werde – nach dem Chaos in Folge der Machtübernahme der Taliban – inzwischen wieder vom amerikanischen Militär kontrolliert. Der Befehlshaber des Einsatzes am Flughafen stehe regelmäßig in Kontakt mit jenem Taliban-Anführer, der die Umgebung kontrolliere. Das amerikanische Militär habe neben den derzeit 4500 Soldaten am Flughafen im Bedarfsfall auch Zugriff auf Kampfflugzeuge und Drohnen in der Region. In Kabul selbst gebe es zudem eine „bedeutende Zahl“ an Hubschraubern. Das war gleichsam Milleys Botschaft an die Taliban.
„Kein Konsens innerhalb der Geheimdienste“
Im Pentagon hofft man nun, den Einsatz nach dem anfänglichen Chaos einigermaßen geordnet zu Ende bringen zu können. Dann werde man sich mit der Fehleranalyse der Mission befassen. Biden hat fürs Erste die Losung ausgegeben, das Chaos sei unvermeidbar gewesen. Auf die Frage, ob die Regierung Fehler gemacht habe, sagte er in dem Interview: „Nein. Ich glaube nicht, dass wir es auf eine Weise managen konnten, ohne Chaos herauszukommen. Ich weiß nicht, wie das gehen soll.“
Der Präsident äußerte sich auch zu der Frage, warum er trotz der Warnungen seiner Nachrichtendienste noch im Juli geäußert hatte, eine Machtübernahme durch die Taliban sei „hochgradig unwahrscheinlich“. Er erwiderte, es habe seinerzeit innerhalb der Geheimdienste „keinen Konsens“ gegeben. Damals habe es geheißen, eine Machtübernahme sei gegen Ende des Jahres wahrscheinlicher. Auch das Pentagon äußerte sich zu den Berichten, wonach die Regierung Warnungen der Dienste nicht beachtet habe. Milley sagte: „Es gab nichts, das ich gesehen habe, oder irgendjemand anders, das auf einen Zusammenbruch dieser Armee und dieser Regierung innerhalb von elf Tagen hingewiesen hätte“. Es habe mehrere Szenarien gegeben, darunter eine rasche Machtübernahme der Taliban nach einem Kollaps. „Aber der zeitliche Rahmen eines schnellen Zusammenbruchs wurde weithin auf Wochen, Monate oder sogar Jahre nach unserem Abzug eingeschätzt.“ Die afghanischen Sicherheitskräfte seien den Taliban mit Blick auf Truppenstärke, Ausbildung und Ausrüstung überlegen gewesen. Letztlich sei es eine Frage des „Willens und der Führung“ gewesen.