Italiens Corona-Schulchaos : Es fehlen Tische, Räume und Lehrer
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Vor dem Schulstart sind die Klagen der Lehrer in Italien groß. Bild: AP
In Italien waren die Schulen so lange geschlossen wie nirgends sonst in Europa. Vielen Kindern blieben seit Februar nur das Internet, Videospiele und das Fernsehen. Am Montag geht es wieder los. Doch die Zeichen stehen schlecht.
Den Termin hat die Regierung in Rom gewissermaßen in Stein gemeißelt: Am 14. September werde für acht Millionen Kinder und Jugendliche der Präsenzunterricht wieder beginnen, von den Grundschulen bis zu den Gymnasien. So haben es Ministerpräsident Giuseppe Conte und Schulministerin Lucia Azzolina in den vergangenen Wochen immer wieder versprochen. Für die gesamte Regierung sei die Wiederaufnahme eines einigermaßen normalen Schulbetriebs „oberste Priorität“, versicherte der parteilose Regierungschef. Und seine Schulministerin Azzolina von der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung nahm Conte gegen Kritik aus der Opposition und in den Medien ausdrücklich in Schutz.
Ihr Versprechen werden Conte und Azzolina aber nicht einhalten können. Allein in der mittelitalienischen Region Latium, zu der auch die Hauptstadt gehört, werden 30 Prozent der Schulen an diesem Montag nicht ihre Türen öffnen. Diese Zahl nannte am Sonntag der Bildungsminister der Region. Um einen politischen Torpedo der Opposition, die der Regierung in Rom Zerstrittenheit und Unfähigkeit vorwirft, handelt es sich bei dieser Ankündigung nicht. In Latium regiert seit 2013 Nicola Zingaretti als Regionalpräsident. Er ist zugleich Parteichef der Sozialdemokraten, die sich vor genau einem Jahr zur Bildung der Linkskoalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung – ihrem einstigen politischen Erzfeind – unter Führung Contes bereitgefunden hatten.
Die Koalition verzettelte sich
Auch in anderen Regionen sieht es kaum besser aus. In Kampanien in Süditalien forderte eine Lehrergewerkschaft die Verschiebung des ersten Schultages in der gesamten Region auf den 24. September. Begründung: Es fehlten die versprochenen Einzeltische für die Schüler, die empfohlenen freiwilligen Corona-Tests der Lehrkräfte seien längst nicht abgeschlossen, außerdem würden am 20. September in den Schulen die Regionalwahlen sowie das nationale Referendum über die Verkleinerung des Parlaments abgehalten. Auch hierbei handelte es sich nicht um einen Angriff der Opposition: Die Lehrergewerkschaften stehen traditionell den Sozialdemokraten nahe, und Regionalpräsident Vincenzo De Luca, der sich mit guten Erfolgsaussichten um die Wiederwahl für den Posten in der Hauptstadt Neapel bewirbt, ist ebenfalls Sozialdemokrat.
In keinem anderen Land Europas waren die Schulen so lange geschlossen wie in Italien. Schon Ende Februar hatte die Regierung die Schließung aller Bildungseinrichtungen verfügt, um der Sars-COV-2-Pandemie zu begegnen. Auf vier Monate Schließung folgten zweieinhalb Monate Sommerferien. Dazu standen die Kinder und Jugendlichen des Landes im März und April wochenlang unter absolutem Hausarrest. Ihre Hunde durften die Italiener ausführen, die Kinder wurden vom strengsten Lockdown Europas aber nicht ausgenommen: In ihrem Reglementierungswahn hatte die Regierung schlichtweg vergessen, dass auch Kinder gelegentlich an die frische Luft müssen und Bewegung brauchen.
Für berufstätige Eltern war die unterrichtsfreie Zeit eine Herausforderung sondergleichen. Die vom Virus besonders gefährdeten Großeltern kamen als übliche Betreuer nicht in Frage, in vielen Fällen blieben Internet, Videospiele und Fernsehen als Alleinunterhalter. Pädagogen sind überzeugt, dass sich der Graben zwischen leistungsstarken und -schwachen Schülern während der langen Unterrichtspause vertieft hat. In bildungsfernen Haushalten fehlte es den Eltern an Zeit und Fähigkeit, ihre Kinder selbst zu unterrichten oder beim Fernunterricht zu begleiten.