Unter Israels neuer Regierung : Jordanien fürchtet die Eskalation in Jerusalem
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Angespannte Lage: Israelische Sicherheitskräfte auf dem Tempelberg Bild: AP
Seine erste Reise führte Netanjahu nach Amman zu König Abdullah. Der ist besorgt über Israels radikale Koalition – sie könnte auch Jordanien destabilisieren.
Benjamin Netanjahus erste Auslandsreise seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Dezember war nicht angekündigt. Sie führte ihn auch nicht weit und dauerte nicht lange: In Amman traf er am Dienstagnachmittag den jordanischen König Abdullah. Immerhin habe das Gespräch länger gedauert als geplant, berichteten israelische Medien, von zweieinhalb Stunden war die Rede. Mit Blick auf das schwierige Verhältnis, das Netanjahu und Abdullah nachgesagt wird, ist das ein positives Signal.
Es könnte aber auch bedeuten, dass es in dem ersten Treffen der beiden seit 2018 schwierige Themen zu besprechen gab. Netanjahu schrieb auf Twitter, man habe „regionale Angelegenheiten diskutiert und die Zusammenarbeit in strategischen, Sicherheits- und Wirtschaftsfragen zwischen Israel und Jordanien hervorgehoben, die zur Stabilität in der Region beiträgt“.
Der jordanische Königshof war deutlicher: Abdullah habe mit Blick auf Jerusalem gemahnt, Gewalt zu vermeiden und die Ruhe aufrechtzuerhalten. Er forderte der Mitteilung zufolge, den „historischen und rechtlichen Status quo“ auf dem Al-Aqsa-Plateau zu respektieren. Netanjahu soll dies zugesichert haben.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass im Verlauf des Gesprächs der Name Itamar Ben-Gvir fiel. Der Polizeiminister hatte Anfang Januar das Al-Aqsa-Plateau besucht, auf dem einst der jüdische Tempel stand. Jordanien bestellte Israels Botschafter ein, auch andere Länder protestierten. Denn der jüdische Zionist Ben-Gvir will den Status quo ändern, der besagt, dass ausschließlich Muslime auf dem Gelände in der Jerusalemer Altstadt beten dürfen – andere sind nur als Besucher zugelassen.
Sorge vor Pessach und dem Ramadan
Was für ein routinierter Provokateur Ben-Gvir ist, stellte er keine vierundzwanzig Stunden nach Netanjahus Treffen mit Abdullah unter Beweis. Im Armeeradio sagte er am Mittwoch, er richte seine Politik nicht nach den Wünschen Ammans aus. „Ich bin auf den Tempelberg gegangen, und ich werde weiter auf den Tempelberg gehen.“
Ben-Gvir nannte in diesem Zusammenhang auch das Pessachfest im April. Das fällt in diesem Jahr mit dem islamischen Fastenmonat Ramadan zusammen, was das Potential für Eskalationen an den heiligen Stätten in dieser Zeit zweifach erhöht. Dreifach, rechnet man Ben-Gvir hinzu.
Diese Aussicht beunruhigt Jordanien aus mehreren Gründen. Zum einen übt das Königshaus seit mehr als hundert Jahren eine „Schutzherrschaft“ über die islamischen und christlichen heiligen Stätten Jerusalems aus. Dies stärkt die Legitimation der Haschemitenfamilie, die aus Mekka stammt und sich auf den Propheten Muhammad zurückführt, aber erst nach dem Ersten Weltkrieg von den Briten als Herrscherhaus im heutigen Jordanien installiert wurde.
Einschränkungen der Schutzherrschaft werden in Amman als Gefahr gesehen. In der vergangenen Woche kam es zum Eklat, als israelische Polizisten dem jordanischen Botschafter kurzzeitig den Besuch der Al-Aqsa-Moschee verwehrten, angeblich wegen eines Missverständnisses. Umgehend bestellte Jordanien den israelischen Botschafter ein und protestierte. Jordanische Offizielle benötigten keine Erlaubnis zum Besuch des Geländes.
Welchen Einfluss hat Jordanien noch auf dem Tempelberg?
Manche Beobachter meinen indessen, die Schutzherrschaft sei seit dem Verlust Ostjerusalems 1967 nur noch symbolisch. „Jordanien hat keinen wirklichen Einfluss in Jerusalem“, sagt Oraib al-Rantawi, der das „Al-Quds-Zentrum für politische Studien“ leitet, eine Denkfabrik in Amman. Über den Waqf, die aus Amman gesteuerte Institution, die das Al-Aqsa-Plateau verwaltet, formuliert er bissig: „Die einzige verbliebene Aufgabe des Waqf ist es, die Teppiche zu reinigen, nachdem die Siedler da waren.“
Der zweite Faktor, der zur Beunruhigung Ammans beiträgt, sind die in Jordanien lebenden Palästinenser. Nach Schätzungen machen sie rund 60 Prozent der Bevölkerung des Landes aus. Ihre Stellung und ihr Verhältnis zu den „ursprünglichen“ Jordaniern ist heikel. Alles, was die Palästinenser in den besetzten Gebieten betrifft, wirke sich auf Jordanien aus, sagt al-Rantawi. Sollte Israels Rechte all ihre Visionen verwirklichen, sei dies „ein Rezept für Instabilität und Chaos in Jordanien“.
Abdullah muss einen Balanceakt vollführen, das gute Verhältnis zu Israel bewahren, ohne die Bevölkerung zu verprellen, die sich einen härteren Kurs wünscht. Üblicherweise versuche Amman, hinter den Kulissen zu vermitteln, sagt Wasfi Kailani. Er ist „Direktor des haschemitischen Fonds für die Restaurierung der Al-Aqsa-Moschee und des Felsendoms“; seine Funktion ist jedoch wichtiger, als es der Titel verrät: Kailani nimmt für den König Aufgaben mit Blick auf Jerusalem wahr. Im Gespräch in Amman, noch vor Netanjahus Besuch dort, sagt Kailani, er glaube, die „Dynamik der Beziehungen“ zwischen Israel und Jordanien werde sich verändern.
Man arbeite in vielen Bereichen zusammen, aber die „messianische Vision“ der Ultrarechten und ihre Versuche, auf dem Al-Aqsa-Plateau Einfluss zu gewinnen, seien besorgniserregend. „Von einem gewissen Punkt an wird eine kontinuierliche Eskalation dort sich auf alle Beziehungen auswirken.“ Für den König sei Al-Aqsa eine „rote Linie“. Kailani fordert das Ausland auf, sich einzumischen. Er hoffe, dass man „die Bedeutung der Al-Aqsa-Moschee für den haschemitischen König und für die Muslime in der ganzen Welt“ verstehe – „auch für den regionalen und weltweiten Frieden“. Man dürfe es nicht zulassen, dass Koexistenz durch apokalyptische Visionen zerstört werde.