Palästinensergebiete : Israel beschießt Ziele im Gazastreifen
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Ein Mann schwenkt am Donnerstag in Gaza-Stadt eine Palästinenser-Flagge vor einem Haufen brennender Reifen Bild: AP
In der Nacht flogen Raketen aus dem Gazstreifen nach Israel. Daraufhin griff die Luftwaffe angebliche unterirdische Raketenfabriken an. Die Attacke könnte eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod mehrerer Palästinenser sein.
Israel hat den Abschuss mehrerer Raketen aus dem Gazastreifen in der Nacht mit Luftangriffen beantwortet. Kampfflugzeuge beschossen laut Angaben der Armee eine unterirdische Raketenfabrik im Zentrum des palästinensischen Gebiets, die von der dort herrschenden Hamas betrieben worden sei. Weiterhin sei eine Hamas-Militärbasis im Norden des Gazastreifens beschossen worden. Berichte über Verletzte gab es nicht.
Die Luftschläge erfolgten kurz nachdem seit Mitternacht sechs Raketen aus dem Küstenstreifen in Richtung Israels abgefeuert worden waren. In mehreren grenznahen Orten wurde Luftalarm ausgelöst. Die Raketen wurden jedoch vom Verteidigungssystem „Iron Dome“ abgefangen oder schlugen in unbewohntem Gebiet beziehungsweise im Gazastreifen selbst ein. Bis zum Vormittag hatte keine Gruppe den Raketenabschuss für sich reklamiert. Die israelische Armee teilte mit, dass sie die Hamas für alle „terroristischen Aktivitäten“ verantwortlich mache, die vom Gazastreifen ausgehen.
Es handelte sich um den ersten Schlagabtausch zwischen Israel und bewaffneten Gruppen im Gazastreifen seit der Amtsübernahme der neuen Regierung unter Benjamin Netanjahu Ende Januar. Auslöser war vermutlich der gewaltsamste Tag seit langer Zeit im Westjordanland gewesen. Dort waren am Morgen bei einer israelischen Militäraktion in Dschenin neun Palästinenser getötet worden. Ein zehnter wurde später am Donnerstag in der Nähe von Ramallah getötet. Die Hamas kündigte daraufhin weiteren Widerstand und Vergeltung an. Ein Sprecher der Gruppe „Palästinensischer Islamischer Dschihad“ (PIJ) warnte vor einer größeren Eskalation der Gewalt, die sich nicht auf ein Gebiet beschränken werde.
Ein Hochburg bewaffneter Gruppen
Die palästinensische Führung wiederum verkündete, sie setze die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel aus. Der Sprecher von Präsident Mahmud Abbas, Nabil Abu Rudeineh, sagte am frühen Donnerstagabend, werde man sich zudem an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und an den Internationalen Strafgerichtshof wenden. Die Führung in Ramallah hat in der Vergangenheit schon öfter angekündigt, die Sicherheitszusammenarbeit zu beenden, dies jedoch in den meisten Fällen nicht umgesetzt.
Abu Rudeineh hatte zuvor von einem „Massaker an unserem Volk vor den Augen der Welt“ gesprochen. Am Donnerstagmorgen waren israelische Besatzungstruppen in das Flüchtlingslager der Stadt Dschenin eingedrungen, laut Armeeangaben für eine „Antiterroroperation“. Neben sieben Angehörigen bewaffneter Gruppen wurden dabei auch zwei Zivilisten erschossen. So viele Getötete an einem Tag gab es im Westjordanland zuletzt im Mai 2021. Zwei von ihnen waren laut palästinensischen Angaben Zivilisten, sieben gehörten verschiedenen militanten Organisationen an. Mindestens zwanzig weitere Menschen wurden verwundet.
Das Flüchtlingslager von Dschenin ist eine Hochburg bewaffneter Gruppen, das israelische Militär operiert selten dort. Im Verlauf der dreistündigen Aktion in dem dicht besiedelten Gebiet kam es zu Feuergefechten. Auf Fotos und Videos, die im Internet verbreitet wurden, waren ein stark beschädigtes Haus, ein verwüsteter Straßenzug, ausgebrannte Fahrzeuge und brennende Barrikaden zu sehen. Der palästinensischen Gesundheitsministerin zufolge blockierte das Militär vorübergehend den Zugang für Rettungskräfte. Zudem habe das Militär die Kinderabteilung eines Krankenhauses mit Tränengas beschossen. Ein Armeesprecher verneinte dies.
UN-Vertreter warnen vor weiterer Gewalt
In einer Mitteilung von Armee, Geheimdienst und Grenzpolizei hieß es, Ziel der Aktion sei die Festnahme einer „Terroreinheit“ des PIJ gewesen. Sie sei an der Planung und Durchführung „zahlreicher großer Terrorattacken“ wie Schusswaffenangriffen auf Soldaten und israelische Zivilisten beteiligt gewesen. Seit einer Reihe von Terroranschlägen in Israel im vergangenen Frühjahr hat das Militär seine Aktivitäten im Westjordanland deutlich intensiviert. Seit Jahresbeginn sind dort laut palästinensischen Angaben mindestens 30 Menschen bei Militäraktionen getötet worden, nachdem es im vergangenen Jahr mehr als 150 Todesopfer gab, so viele wie seit 2005 nicht. Immer wieder werden auch Zivilisten getötet.
Abbas rief am Donnerstag eine dreitägige Staatstrauer aus, in Ramallah und anderen Städten gab es einen Generalstreik. An verschiedenen Orten im Westjordanland kam es später zu Zusammenstößen. Palästinensischen Angaben zufolge wurden mehrere Personen von Soldaten angeschossen. Ein 22 Jahre alter Palästinenser erlag seinen Wunden. In der Altstadt von Jerusalem griff eine Gruppe von Israelis am Abend Geschäfte an, die von Palästinensern betrieben werden.
Vertreter der Vereinten Nationen und anderer Länder äußerten sich besorgt über die hohe Zahl der Opfer und warten vor weiterer Gewalt. Israels Ministerpräsident Netanjahu sagte am Donnerstagabend, Israel strebe keine Eskalation an. Er wies die Armee an, sich auf alle Szenarien vorzubereiten. Verteidigungsminister Joav Gallant sagte, Israel werde weiter „zu jeder Zeit und an jedem Ort gegen jeden vorgehen, der Bürgern Israels schaden will“.