Iran : Unbekannte Codes und vermietete Geburtsurkunden
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Exiliraner demonstrieren in Hamburg Bild: dpa
Ein hieb- und stichfester Nachweis für eine Fälschung der iranischen Wahl ist bisher nicht erbracht. Den Behörden standen jedoch eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, um das Ergebnis zu manipulieren. Rainer Hermann beschreibt sie.
Der iranische Wächterrat hat Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentenwahl vom 12. Juni eingestanden. In 50 Wahlbezirken seien mehr Stimmen abgegeben worden als es Stimmberechtigte gegeben habe, sagte Ratssprecher Abbas Ali am Montag laut einer Meldung auf der Web-Seite des staatlichen Fernsehens. Das ändere jedoch nichts am Wahlsieg von Amtsinhaber Mahmud Ahmadineschad.

Redakteur in der Politik.
Am Samstag hatte der Wächterrat die unterlegenen Präsidentschaftskandidaten zu einem Treffen geladen, um über die Modalitäten der von der Staatsführung angebotenen stichprobenartigen Neuauszählung von zehn Prozent der abgegebenen Stimmen zu sprechen. Mussawi und Karrubi boykottierten jedoch das Treffen und bekräftigten ihre Forderung nach einer Neuwahl. Sie argumentieren, einmal gefälschte Stimmen blieben auch bei einer Neuzählung gefälscht.
Viele Möglichkeiten für Fälscher
Ein hieb- und stichfester Nachweis für eine Fälschung ist bisher nicht erbracht. Den durchführenden Behörden standen jedoch eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, um ein gewünschtes Ergebnis herbeizuführen.
- 63 Millionen Wahlzettel sind gedruckt worden; 40 Millionen Iraner stimmten ab. Dennoch waren in Stadtteilen, in denen die Anhänger Mussawis die Mehrheit haben, nicht für alle, die ihre Stimmen abgeben wollten, genügend Wahlzettel vorhanden. Unklar ist der Verbleib der überzähligen Wahlzettel.
- Im Sender BBC kamen Wähler zu Wort, die beobachtet haben wollen, wie bereits bei der Öffnung eines Wahllokals die Wahlurnen gefüllt gewesen seien. Sollte dies zutreffen, wäre es auch eine Folge der Behinderung der Wahlbeobachter gewesen, die den Kandidaten zustanden. So hatte Mussawi Wahlbeobachter für 45.000 Wahllokale beantragt. Genehmigt wurden aber nur 10.000, und auch die durften offenbar häufig nicht dort ihre Stimmen abgeben, wo sie Wahlbeobachter waren. Sie mussten zur Stimmabgabe also ihr Wahllokal verlassen. Auch klagten Wahlbeobachter, dass sie zur Stimmenauszählung nicht zugelassen worden seien.
- Auf den Wahlzetteln waren die vier Kandidaten in einer Liste vermerkt, unter Ziffer 1 Ahmadineschad, unter Ziffer 4 Mussawi. Doch genügte es bei dieser Wahl nicht, hinter dem Namen des vom Wähler bevorzugten Kandidaten einen Haken zu machen. Vielmehr war jedem der vier Bewerber ein Nummerncode zugewiesen, der aber nicht der Rangfolge (1 bis 4) entsprach. Das wussten viele Wähler nicht. So war nicht auf sämtlichen Wahlzetteln vermerkt, dass der Zahlencode für Ahmadineschad 44 und der für Mussawi 77 lautete. Nun heißt es, Stimmzettel, auf die vom Wähler keine Nummer geschrieben worden sei, seien bei der Auszählung oft nicht als ungültig gewertet worden, sondern gefälscht worden, indem neben die 4 beim Namen Mussawis eine weitere 4 geschrieben worden sei, woraus sich der Code 44 für Ahmadineschad ergeben habe. Obwohl viele Wähler angeben, die Nummerncodes seien ihnen nicht bekannt gewesen, wurde weniger als ein Prozent der Stimmzettel für ungültig erklärt.
- Nachgewiesen wird die Wahlberechtigung mit der Geburtsurkunde. Von diesen sind mehr im Umlauf, als es tatsächlich Wahlberechtigte gibt. Es ist möglich, Geburtsurkunden für den Wahltag zu „mieten“.
- Ganz entziehen sich die mobilen Wahlurnen der Kontrolle. Von ihnen wurden bei dieser Wahl mehr als bei früheren Wahlen eingesetzt. Sie sollen insbesondere Kranken die Stimmabgabe ermöglichen.
- Unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Vertreter der Kandidaten findet ferner die Zusammenzählung der „Ergebnisse“ im Innenministerium statt.
Mehrere Faktoren erzeugten in großen Teilen der Öffentlichkeit die Überzeugung, dass die Wahlen gefälscht worden sind.
- Das Innenministerium gab viel früher als bei vorherigen Wahlen ein vorläufiges Ergebnis bekannt.
- Bis zum amtlichen Endergebnis veränderte sich der Stimmenanteil der beiden wichtigsten Kandidaten kaum. Auch die Städte, in denen Mussawi stark ist, sollen demnach wie der Rest des Landes abgestimmt haben.
- Auch in ihren Herkunftsregionen unterlagen die drei Kandidaten Ahmadineschad mit deutlichem Abstand. Traditionell unterstützen viele Iraner aber Kandidaten aus ihrer Region.
Nichtiranische Experten, die einen Wahlbetrug ausschließen, stützen sich auf eine Umfrage des amerikanischen „Center for Public Opinion“. Dieses ermittelte einen Vorsprung Ahmadineschads vor Mussawi von 2 zu 1. Dem halten jene, die einen Wahlbetrug für wahrscheinlich halten, entgegen, dass die Umfrage vier Wochen vor der Wahl durchgeführt worden sei. In den zwei Wochen vor der Wahl sei die Stimmung aber zugunsten von Mussawi gekippt.
Der iranische Außenminister Mottaki bezeichnete am Wochenende vor ausländischen Diplomaten den Spielraum für Wahlfälschungen als „nahezu nichtexistent“. Allerdings gab der Parlamentssprecher Ali Laridschani am Samstag zu bedenken, die Mehrheit der iranischen Bevölkerung sei der Meinung, dass die Wahlergebnisse „nicht genau“ seien. Diese Meinung müsse respektiert werden, forderte er im staatlichen Radio. Ferner warf er dem Wächterrat vor, „einige seiner Mitglieder“ hätten Partei für Ahmadineschad ergriffen. Der Wächterrat hat Wahlen zu organisieren und deren Ergebnisse bekanntzugeben.