Proteste in Iran : Erste Risse in den Reihen des Regimes
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Die rohe Gewalt des Regimes: Eine Videoaufnahme dokumentiert, wie Sicherheitskräfte in der Provinz Gilan gegen eine Frau vorgehen. Bild: AFP
Die Führung der Islamischen Republik hat nach wie vor keine andere Antwort auf die Proteste als Gewalt. Doch nun äußert sich eine erste Stimme aus den inneren Zirkeln kritisch über die Regierung.
In der Führung der Islamischen Republik deuten sich erste Risse an. Einerseits setzt die Spitze auf Härte. So hat der Chef der Justiz, Gholamhossein Mohseni-Edschei, die Richter aufgefordert, kein Mitleid mit den Anführern der Unruhen zu zeigen. Vielmehr sollten sie hart bestraft werden. „Wir sehen klar, wie der Feind sie steuert“, sagte Edschei in Teheran bei einem Treffen der geistlichen Richter. Sein Angebot zu einem Dialog mit den Protestierenden hat damit nur drei Tage gehalten. Dazu passt, dass die Sittenpolizei auf den Straßen wieder härter zugreift und dabei auch Frauen festnimmt.
Aufsehen erregt indes, dass einer der führenden iranischen Intellektuellen, die das Regime unterstützen, auf Distanz zur Strategie der Niederschlagung der Proteste und insbesondere auf Distanz zu Präsident Ebrahim Raisi geht. Auf seinen sozialen Medienkanälen schrieb der Schriftsteller Reza Amir-Khani, Raisi sei nicht mehr in der Lage, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.
„Ein Haufen von Wirrköpfen regiert heute das Land“, niemand mit einer gewöhnlichen Intelligenz sei bereit, mit ihnen zusammenarbeiten, und wenn, dann allein aus finanziellen Gründen. Das sei das Ergebnis einer langen Politik, die „Duckmäuser und Schleimschleicher“ mobilisiere. Die Kritik des Schriftstellers ist bemerkenswert, weil Amir-Khani ein gläubiger Muslim ist und Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei nahesteht, den er bei seinen Reisen begleitet hat.
Khamenei selbst hat am Mittwoch die Proteste jedoch heruntergespielt. Sie hätten eine „geringfügige Bedeutung“, sagte er vor Mitgliedern des Schlichtungsrats. Die Mitglieder des Rats sollten sich deswegen nicht von ihrer Arbeit ablenken lassen. Die Proteste seien vom Feind inszeniert, um einen Schatten auf die Erfolge der Islamischen Republik zu werfen, behauptete Khamenei weiter.
Straßenblockaden in Teheran
Am Donnerstag sagte Khamenei, der „Feind“ zeige den Jugendlichen auf Google, wie „Molotewcocktails“, so in seiner Aussprache, hergestellt würden. Die Abgabe von Benzin in Kanistern ist inzwischen unter Strafe gestellt. Immer häufiger schleudern Demonstranten Molotowcocktails auf Sicherheitskräfte. Das wurde zuletzt insbesondere aus dem Teheraner Arbeiterviertel Nazi-Abad, einem Zentrum der Proteste, berichtet. In dem Stadtteil hatten vor dem Zweiten Weltkrieg die in Teheran tätigen deutschen Ingenieure und Fachleute gewohnt.
Aus Teheran und anderen Städten wird zudem häufiger von Straßensperren berichtet, die die Demonstranten errichten. In Assaluyeh hält der Streik der Arbeiter in der Gasindustrie an. Sie drohen, alles zu zerstören, sollten sie angegriffen und festgenommen werden.
Mehrere Hundert Rechtsanwälte forderten in Teheran auf einer Kundgebung, zu der ihre Kammer aufgerufen hatte, die Freilassung der politischen Gefangenen. Sie verzichteten dabei darauf, regimekritische Parolen zu skandieren. Dennoch griff die Polizei mit Tränengas ein, um die Kundgebung zu beenden. Erst von da an riefen sie „Nieder mit dem Diktator“. Drei Anwälte wurden verhaftet. Eine Anwältin sagte, das sei ein weiterer Beweis dafür, dass das Angebot eines Dialoges mit den Demonstranten nur eine Farce gewesen sei.
Demonstrationen und Kundgebungen halten auch an vielen Universitäten an. In den vergangenen Tagen gingen an der Universität Teheran Bassidschis, die Freiwilligenmiliz der Revolutionswächter, gegen die Demonstrierenden vor.
In einem bemerkenswerten Interview mit der Reformzeitung „Etemead“ hat der bekannte iranische Soziologe Assef Bayat, der an einer US-amerikanischen Universität lehrt, erklärt, weshalb diese Proteste größer und umfassender sind als frühere. Die Demonstrierenden wollten sich von den islamischen Einschränkungen, die für sie keinen Sinn ergäben, befreien, sagte er. Aus diesem Grund wirke das Thema der Frau über alle Grenzen hinweg und überwinde alle religiösen, ethnischen und sozialen Unterschiede.