INF-Vertrag : Mit ein wenig Hilfe aus dem Weißen Haus
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Komische Kumpels: Donald Trump und Wladimir Putin am 16. Juli in Helsinki Bild: AP
Warum es Russland gelegen kommt, wenn sich Amerika nicht mehr an den INF-Vertrag gebunden fühlt.
Das seit Jahren äußerst gespannte Verhältnis zwischen der Nato und Russland wird jetzt auf eine weitere harte Probe gestellt. Die Ankündigung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump am Wochenende, sich nicht mehr an den 1987 zwischen den Vereinigten Staaten und der damaligen Sowjetunion geschlossenen sogenannten INF-Vertrag zur Vernichtung aller atomarer Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern gebunden zu fühlen, wurde von russischen Außenpolitikern als „Erpressungsversuch“ bezeichnet. Russland hat die Vorwürfe, den Vertrag zu verletzen, in der Vergangenheit immer zurückgewiesen und seinerseits Washington des Vertragsbruchs beschuldigt.
Im Brüsseler Nato-Hauptquartier hieß es dagegen am Sonntag, die 29 Bündnispartner hätten bei ihrem Gipfeltreffen im Juli klargestellt, dass die Vereinigten Staaten ihren Verpflichtungen aus dem INF-Vertrag nachkämen; dagegen habe das russische Verhalten seit Jahren „weitreichende Zweifel“ daran geweckt, dass Moskau die Vereinbarung achte. Die Allianz hält es „mangels irgendeiner glaubwürdigen Antwort Russlands“ für eine plausible Erklärung, dass Moskau ein neues, unter der Bezeichnung „9M729“ und im internen Nato-Sprachgebrauch unter „SSC-8“ firmierendes System entwickelt habe und damit gegen den INF-Vertrag verstoße.
Seit 2010, spätestens seit 2014, verfügen die Vereinigten Staaten über Hinweise, dass Russland neue Mittelstreckenwaffen entwickelt. Erst zu Monatsanfang hatten die Nato-Verteidigungsminister neue amerikanische Erkenntnisse dazu erhalten und beklagt, Moskau missachte damit den INF-Vertrag. Der Unterzeichnung des Vertrags war ein jahrelanger, in Deutschland und anderen europäischen Staaten erbittert geführter Streit um den Nato-Doppelbeschluss von 1979 vorangegangen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bezeichnete den Vertrag zu Monatsanfang als „Pfeiler der europäischen Sicherheit“. Der Vertrag führte bis 1991 zur Vernichtung aller atomarer Mittelstreckenwaffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern: der amerikanischen Marschflugkörper („Cruise Missiles“) und „Pershing-II-Raketen“ sowie der sowjetischen SS-20-Raketen.
Die amerikanische Nato-Botschafterin Kay Bailey Hutchison hatte unmittelbar vor der jüngsten Tagung der Verteidigungsminister für Irritationen gesorgt. Ihre Bemerkung, Washington sei gegebenenfalls bereit, die neuen russischen Raketen unschädlich zu machen, war vielerorts zunächst als Drohung mit einem militärischen Eingreifen verstanden wurden. Später wurde jedoch klargestellt, dass Hutchison ihre Bemerkung auf die Notwendigkeit bezogen habe, dass Russland sich an den INF-Vertag halten müsse.
Dass das neue russische Raketensystem existiere, habe Moskau unlängst zugegeben, sagte Stoltenberg zu Monatsanfang. Nach amerikanischen, ihm vorliegenden Erkenntnissen habe die Aufstellung der Raketen begonnen. „Die Alliierten setzen ihre Konsultationen fort“, erklärte Nato-Sprecherin Oana Lungescu am Sonntag. Die Nato-Verteidigungsminister hätten ihre Besorgnis am Monatsanfang zum Ausdruck gemacht. „Und die Alliierten haben über mehrere Jahre Anstrengungen unternommen, mit Russland in verschiedenen, bilateralen und multilateralen Formaten in dieser Sache ins Gespräch zu kommen“, sagte Lungescu. Keine offizielle Äußerung gab es im Nato-Hauptquartier zu Mutmaßungen, die Ankündigung der Vereinigten Staaten, aus dem INF-Vertrag auszusteigen, erkläre sich nicht nur durch das russische Verhalten, sondern auch durch die Präsenz chinesischer Raketen, denen Washington im Pazifikraum wenig entgegenzusetzen habe.
Die Reaktion der russischen Seite auf die Vorwürfe über eine Verletzung des INF-Vertrags ist in den vergangenen Jahren im Wesentlichen gleich geblieben. Die Taktik ist bekannt auch aus anderen Streitfragen mit dem Westen: Einerseits wird darauf verwiesen, dass es keine Beweise gebe, andererseits darauf, dass der Westen sich ähnlicher Vergehen schuldig mache. Auf dem G-8-Gipfel von 2007 etwa sprach Präsident Wladimir Putin davon, Russland müsse auf die nuklearen Fähigkeiten der Vereinigten Staaten in Europa reagieren: Es sei inakzeptabel, dass sein Land abrüste, während der Westen das Gegenteil tue. Er spielte damit auf das Nato-Raketenabwehrsystem gegen iranische Langstreckenraketen an, das 2016 unter heftigem russischen Protest in Rumänien in Betrieb genommen wurde.