Kiews trügerischer Frühling
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Bollwerke gegen die Russen: Die Straßensperren können jederzeit wieder in Betrieb genommen werden. Bild: Daniel Pilar
Einen Monat lang sah es so aus, als könnte Russlands Armee jeden Moment Kiew einnehmen. Nun füllen sich die Straßen wieder mit Leben. Doch die Stadt und die Menschen sind vom Krieg gezeichnet.
Ein sonniger Morgen vor der Tschernobylska 9a in Kiew. Die warmen Strahlen, die durch das frische Grün der Bäume schimmern, hüllen die gepflegten Grünflächen in freundliches Licht. Um den erdigen Krater vor dem Wohnblock flattert noch das rot-weiße Absperrband in der Frühlingsluft. Dann mischt sich das Summen einer Bohrmaschine in das Zwitschern der Vögel.
Oleh Surow ist den ersten Tag zurück in seinem kleinen Laden im Nebengebäude. Eigentlich gibt es hier alles, was die Nachbarschaft so braucht. Wurst, etwas Gebäck oder Süßigkeiten für die Kleinen, aber jetzt sind die Regale spärlich besetzt. Der Einschlag vor der Nummer 9a, keine 30 Meter von Surows Laden entfernt, hatte die Fenster zerbersten lassen und die Auslagen durch den Laden geschleudert. In den Wochen darauf war niemand hier, die meisten Kunden hatten sich ohnehin aus Kiew in Sicherheit gebracht. „Aber es ist Zeit, dass es weitergeht“, sagt Surow und zieht mit seinen kräftigen Händen die nächste Schraube fest, mit der er eine Spanplatte im leeren Fensterrahmen fixiert. „Die Wirtschaft muss wieder in Gang kommen, ich muss Steuern zahlen und etwas für den Staat tun“, sagt er und lässt ein Lächeln durch sein mürrisches Gesicht huschen. „Der Frühling ist da, die Leute wollen zurück“, wirft Ludmilla, seine Kassiererin, ein.
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