Urteil in Belarus : Sechs Jahre Haft für Aufruf zum Klatschen
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Symbolfigur des kreativen Protests in Belarus: die seit vergangendem September inhaftierte Musikerin und Politikerin Marija Kolesnikowa Bild: Reuters
Ein Minsker Gericht verurteilt den Schlagzeuger Alexej Santschuk wegen seines kreativen Protestaufrufs zu sechs Jahren Haft. Ähnlich harte Urteile fallen gegen widerständige Studenten und tanzende Aktivisten.
Fast täglich fallen in Belarus Urteile gegen Regimegegner. An ihrer Härte kann man ablesen, wie ernst Alexander Lukaschenkos Diktatur ihre Gegner nimmt. Sehr ernst nimmt sie demnach den Schlagzeuger Alexej Santschuk, den ein Minsker Gericht am Donnerstag zu sechs Jahren Haft verurteilt hat. Offiziell, weil er unter anderem „Handlungen, die grob die öffentliche Ordnung verletzen“, organisiert habe. Tatsächlich, weil Santschuk mit seiner Band in etlichen Auftritten zu einem Symbol der Protestbewegung geworden war. Der Name der Gruppe bedeutet übersetzt „Wir fordern Sie auf, auseinanderzugehen“ – und spielt damit auf eine Forderung der Polizei an Demonstranten an.
Im vergangenen November wurden die Musiker während einer Probe festgenommen. Die Sicherheitskräfte, berichteten die anderen Bandmitglieder, verprügelten Santschuk und forderten sein Telefonpasswort. Man führte die Gruppe im Staatsfernsehen vor. Santschuk sagte dabei, er wisse nicht, was man ihm vorwerfe, „ich lehrte Rhythmus“. Die Musiker wurden wegen Ordnungswidrigkeiten zu Arrest verurteilt. Santschuk aber wurde nach den 15 Tagen nicht freigelassen. Er habe, hieß es im Strafprozess, Leute unterwiesen, laut in die Hände zu klatschen, was die Ruhe von Bürgern gestört habe. Die Menschenrechtsorganisation Wjasna (Frühling) führt Santschuk nun als einen von 372 politischen Gefangenen in Belarus.
Studenten wurden vom KGB festgenommen
Auch andere Prozesse wirken wie das düstere Echo auf friedliche wie fröhliche Protestaktionen. In Brest ganz im Westen von Belarus tanzten im September Dutzende Menschen mit den weiß-rot-weißen Protestfarben auf einer Kreuzung Ringelreihen. Jetzt werden sie im „Fall Reigen“ wegen Ordnungsverstößen zu scharfen Freiheitsbeschränkungen oder Lagerhaft verurteilt. Schon 46 Teilnehmer wurden verurteilt, am Freitag standen weitere zwölf vor Gericht, unter ihnen ein Vater und sein Sohn sowie ein Mann und seine schwangere Ehefrau.
In Minsk begann ebenfalls am Freitag ein Strafprozess gegen zwölf Studenten verschiedener Hochschulen der Hauptstadt. Die Studenten waren im vergangenen Sommer und Herbst in der Protestbewegung besonders engagiert. Daher ist Lukaschenkos Regime hier auch besonders um Abschreckung bemüht. Die Festnahmen übernahm vor einem halben Jahr der Geheimdienst KGB, und auch im „Studentenfall“ geht es um angebliche Ordnungsstörungen. Vor dem Gericht versammelten sich laut dem Newsportal Tut.by am Freitag mehr als hundert Personen, 14 von ihnen wurden festgenommen, auch eine Tut.by-Journalistin.
Besonders hartes Vorgehen gegen „Verräter“
Dem oppositionellen Newsportal hat das Regime längst die Lizenz entzogen; die Tut.by-Journalistin Katerina Borissewitsch saß am Freitag schon 175 Tage in Haft, weil sie die Behauptung Lukaschenkos, ein junger Mann, der im November von Schergen des Regimes verprügelt wurde und im Krankenhaus starb, sei betrunken gewesen, als Lüge entlarvt hatte. Bald dürfte in Minsk auch der Prozess gegen die einzige in Belarus verbliebene Anführerin der Proteste beginnen, die seit September inhaftierte Marija Kolesnikowa. Der Weg der Musikerin in die Politik begann vor einem Jahr an der Seite des schon seit Juni 2020 inhaftierten und als Präsidentschaftskandidat verhinderten früheren Bankiers Viktor Babariko. Kolesnikowa und ihrem Anwalt Maxim Snak wird unter anderem eine Verschwörung zur Machtergreifung vorgeworfen. Ihnen drohen zwölf Jahre Haft.
Besonders hart geht das Regime gegen „Verräter“ in eigenen Reihen vor. Der frühere Hauptmann im Generalstab der Streitkräfte Denis Urad wurde am Freitag zu 18 Jahren Haft wegen „Staatsverrats“ verurteilt. Staatsmedien berichteten, Urad habe Mitte März einen geheimen Brief des Innenministers an den Verteidigungsminister fotografiert und „einem polnischen Telegram-Kanal“ zukommen lassen. Gemeint ist das Oppositionsmedium Nexta, das bestätigte, Urad habe die Bitte um 3725 Soldaten fotografiert, die in 30 Städten gegen Demonstranten eingesetzt werden sollten. Nexta wertete dies als ersten offiziellen Beleg für den „verbrecherischen Befehl“, die Streitkräfte gegen friedliche Bürger einzusetzen.