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Grüner Pass : Impfbereitschaft nimmt in Italien nach Dekret zu

Ultrarechte Demonstranten haben am Samstag in Rom gegen den „grünen Pass“ demonstriert. Bild: AFP

In Italien sollen viele Orte nur noch von Geimpften betreten werden dürfen. Auf den Straßen formiert sich der Protest. Doch die Einführung des „grünen Passes“ zeigt schon einen positiven Effekt.

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          In zahlreichen italienischen Städten haben am Wochenende Zehntausende Menschen gegen die Einführung des „grünen Passes“ zur Eindämmung des Coronavirus demonstriert. Das Kabinett unter Ministerpräsident Mario Draghi hatte nach langer Debatte am späten Donnerstagabend beschlossen, dass vom 6.August an der Zugang zu den Innenbereichen gastronomischer Betriebe, zu Museen, Theatern und Kinos, zu Sport- und Kulturveranstaltungen sowie Schwimmbädern und Fitnessstudios nur bei Vorlage eines Zertifikats zum Nachweis der Impfung, einer Genesung oder eines negativen Tests gestattet ist. Touristen aus dem Ausland können ihren EU-Impfpass oder ihr nationales Impfzertifikat vorzeigen.

          Matthias Rüb
          Politischer Korrespondent für Italien, den Vatikan, Albanien und Malta mit Sitz in Rom.

          Italienische Medien berichteten, dass in mehr als achtzig Städten insgesamt 80.000 Menschen gegen das in Italien als „Green Pass“ bekannte Impfzertifikat demonstriert hätten. Die größten Proteste wurden aus Rom mit etwa 3000 Teilnehmern sowie aus Mailand, Turin, Neapel, Genua und Bozen gemeldet. Bei den Demonstrationen wurde „Freiheit“ und „Nieder mit der Diktatur“ skandiert. Redner prangerten die Verfassungswidrigkeit der beschlossenen Maßnahmen an. Nach Medienberichten beteiligten sich zahlreiche Anhänger rechtsextremer und neofaschistischer Gruppen an den Protesten.

          Draghis eindringliche Worte

          Die Impfbereitschaft nahm nach Verkündung des neuen Dekrets im ganzen Land zu. Zuletzt war die Impfkampagne in Italien ins Stocken geraten. Medienberichten zufolge wurden binnen weniger Stunden nach der Pressekonferenz von Draghi landesweit etwa 150.000 Impftermine gebucht. Je nach Region sei „ein Buchungsboom mit Steigerungen von 15 bis 200 Prozent“ erfolgt, sagte der Pandemie-Sonderkommissar der Regierung, Armee-General Francesco Figliuolo. In der Lombardei in Norditalien, der bevölkerungsreichsten italienischen Region, hätten allein am Donnerstagabend fast 49.000 Personen einen Termin für die Verabreichung der ersten Impfdosis gebucht, fast doppelt so viele wie am Vortag, sagte Figliuolo. Einen ähnlichen Boom verzeichnete nach der Ankündigung der Einführung des „grünen Passes“ mit mehr als 38.000 Vormerkungen auch die mittelitalienische Region Latium mit der Hauptstadt Rom.

          In mehreren Regionen werden „Open Vax Days“ mit der Möglichkeit der Impfung für alle Altersgruppen angeboten. 59,3 Prozent der Gesamtbevölkerung und 69,9 Prozent der Bevölkerung, die älter als zwölf Jahre sind, sind in Italien mit einer Dosis geimpft. Vollständig mit zwei Dosen immunisiert sind 50,3 Prozent der Gesamtbevölkerung, der Anteil bei den mehr als zwölf Jahre alten Personen liegt bei 55,8 Prozent.

          Ministerpräsident Draghi hatte in seiner Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung mit drastischen Worten die Haltung von Impfgegnern und -skeptikern kritisiert: „Der Aufruf, sich nicht impfen zu lassen, ist ein Aufruf zum Sterben. Wer sich nicht impfen lässt, kann erkranken und sterben. Oder man infiziert jemand anderen, der dann erkrankt und stirbt.“

          Salvini ließ sich impfen, Meloni nicht

          Draghis Kritik war erkennbar an Politiker seiner eigenen Koalition wie der rechtsnationalen Lega sowie an die postfaschistische Oppositionspartei „Brüder Italiens“ gerichtet. Der Lega-Chef und frühere Innenminister Matteo Salvini hatte noch vergangene Woche die Impfung von Menschen, die jünger als 40 Jahre sind, als nicht unbedingt notwendig bezeichnet und die Immunisierung von Kindern und Jugendlichen gänzlich abgelehnt. Salvini selbst ließ sich am Freitagvormittag in Mailand mit der ersten Dosis impfen. Implizit wies er die Kritik Draghis mit den Worten zurück, niemand werfe etwa der Ständigen Impfkommission in Deutschland vor, diese rufe zum Sterben auf, weil sie keine allgemeine Impfempfehlung für Jugendliche zwischen zwölf und 18 Jahren gegeben habe. „Unser aller Ziel, meines wie das von Draghi, ist es, Menschenleben zu retten und die Italiener zu schützen“, sagte Salvini.

          Giorgia Meloni, Parteivorsitzende der „Brüder Italiens“ und unangefochtene Oppositionsführerin, bezeichnete die Einführung des „grünen Passes“ durch die Regierung Draghi als „letzten Schritt zur Erschaffung einer Orwell’schen Gesellschaft“ und als „verfassungswidrigen Wahnsinn“. Meloni hat sich bisher nicht impfen lassen.

          Nach Erkenntnissen von Demoskopen ist die Zahl erklärter Impfgegner in Italien seit Beginn der Pandemie von etwa 30 Prozent zwar deutlich zurückgegangen, liegt nach jüngsten Umfragen aber noch immer zwischen elf und 13 Prozent. Mit 23 Prozent ist der Anteil von Gegnern einer Impfpflicht unter Anhängern der Partei „Brüder Italiens“ am höchsten, 16 Prozent von potentiellen Wählern der postfaschistischen Partei wollen sich nicht gegen das Virus impfen lassen. Unter Lega-Wählern sind zwanzig Prozent gegen eine Impfpflicht, sogar 23 Prozent sagen, sie wollten persönlich keine Corona-Impfung. Unter Anhängern der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung sind 13 Prozent gegen die Impfpflicht, neun Prozent wollen sich nicht impfen lassen.

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