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SVP bleibt stärkste Kraft : Grüne legen bei Schweizer Parlamentswahl deutlich zu

Regula Rytz, Präsidentin der Grünen Partei, wirft ihren Wahlzettel in eine Wahlurne. Bild: dpa

Bei der Parlamentswahl in der Schweiz gab es Verschiebungen: Die rechtskonservative SVP bleibt zwar stärkste Kraft, konnte aber nicht mehr so gut punkten. Den größten Zuwachs verzeichnen die Grünen – in die Landesregierung schaffen sie es jedoch nicht.

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          In der Schweiz ist das Pendel auf der Skala der politischen Ausrichtungen wieder zurück geschwungen. Aus der Parlamentswahl vor vier Jahren war noch die Schweizerische Volkspartei (SVP) als klarer Sieger hervorgegangen. Die ausländerfeindlichen Rechtskonservativen profitierten damals von der Flüchtlingswelle in Europa. Doch seither ist die Zahl der Asylbewerber und Zuwanderer stark gesunken. Bei der Wahl am Sonntag konnte die SVP daher mit ihrem Lieblingsthema Migration nicht mehr richtig punkten. Nach dem offiziellen Wahlergebnis verlor sie knapp vier Prozentpunkte, bleibt aber gleichwohl mit einem Wähleranteil von 25,6 Prozent die stärkste Kraft vor den Sozialdemokraten (SP), die um zwei Prozentpunkte auf 16,8 Prozent zurückfielen. Die FDP erreichte 15,1 Prozent und schnitt damit etwas schlechter ab als vor vier Jahren.

          Johannes Ritter
          Korrespondent für Politik und Wirtschaft in der Schweiz.

          Gemessen an den hinzu gewonnenen Stimmen, sind die Grünen und die Grünliberalen die großen Gewinner der Wahl. Gemeinsam kommen sie im Nationalrat nun auf einen Wähleranteil von 21,0 Prozent, neun Prozentpunkte mehr als 2015. Die Grünen profitierten von der Klimadebatte, die auch in der Schweiz hohe Wellen schlug. Tausende junge Leute versammeln sich regelmäßig zu Protestzügen in den Städten. Die Bewegung „Fridays for future“ hielt ihren ersten europäischen Klimagipfel im Sommer in Lausanne am Genfer See ab – im Beisein von Greta Thunberg. Das Augenmerk der Bürger fiel dadurch verstärkt auf die Folgen des Klimawandels für die Schweiz: Die Alpen beginnen zu bröseln, weil der sogenannte Permafrost in hohen Lagen taut. Die Gefahr von Bergrutschen wächst. Die Gletscher schmelzen immer weiter ab. Da es zudem häufiger regnet als schneit, steigt der Pegelstand der Rhône. Daher müssen Dämme verstärkt und das Flussbett verbreitert werden, das soll 3,6 Milliarden Franken kosten. Die Verfechter der sogenannten Gletscher-Initiative haben binnen weniger Monate mehr als die 100.000 Unterschriften gesammelt, die erforderlich sind, um die Bevölkerung abstimmen zu lassen. Sie fordern den Ausstieg der Schweiz aus fossilen Brenn- und Treibstoffen bis zum Jahr 2050.

          In die Landesregierung schaffen die Ökoparteien es vorerst nicht

          Die Diskussionen über diese Themen spielten den Grünen und den Grünliberalen im Wahlkampf in die Hände. Für viele ihrer Anhänger verbindet sich mit dem Wahlerfolg die Erwartung, dass dieser Aufstieg sie erstmals in die Landesregierung befördern sollte. Doch dazu wird es vermutlich (noch) nicht kommen. Die sieben Plätze im Bundesrat, wie die Mehrparteien-Regierung in Bern heißt, werden nach der sogenannten Zauberformel vergeben. Demnach stehen den drei größten Parteien (SVP, SP, FDP) jeweils zwei Sitze und der viertgrößten (bisher CVP) ein Sitz zu.

          Wenn Grüne und Grünliberale noch immer in einer Partei vereint wären, käme das für die Regierungswahl zuständige Parlament wohl nun gar nicht umhin, einen grünen Kandidaten in den Bundesrat zu lassen. Aber so haben die Abgeordneten, die im Dezember den Bundesrat wählen, vor Augen, dass selbst die stärkere der beiden Parteien, die Grünen, im Nationalrat „nur“ auf einen Wähleranteil von 13 Prozent kommt. Das ist zwar etwas mehr als die knapp 12 Prozent der Regierungspartei CVP. Aber die Christdemokraten sind nach wie vor eine Macht in der kleinen Kammer des Parlaments (Ständerat), die politisch genauso viel Gewicht hat wie die große Kammer (Nationalrat) und deren Abgeordnete ebenfalls an der Bundesratswahl teilnehmen.

          Allenfalls ist denkbar, dass sich Grüne und GLP auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, der dann nicht gegen die CVP-Bundesrätin Viola Amherd antritt, sondern durch eine Abwahl des FDP-Außenministers Ignacio Cassis in die Regierung gehievt werden soll. Einen solchen Coup würden die Sozialdemokraten wahrscheinlich unterstützen. Aber es brauchte auch die Unterstützung der bürgerlichen CVP, und die wäre nur schwer zu bekommen. Außerdem reagiert die auf Ausgleich und Kontinuität bedachte Schweizer Politik generell nicht gern abrupt. Die Grünen müssen also wohl erst einmal beweisen, dass ihr Höhenflug von Dauer ist, bevor sie sich ernsthaft Hoffnung auf einen Platz in der Regierung machen dürfen.

          Ganz ohne Wirkung wird der grüne Aufschwung aber auch nicht bleiben. Im Parlament sitzen fortan mehr Volksvertreter, die sich für linke Themen stark machen. Das gilt insbesondere für die Grünen. Während die Grünliberalen den ökologischen Umbau mit Hilfe marktwirtschaftlicher Instrumente vorantreiben wollen, setzen die Grünen auf staatliche Eingriffe und Lenkung. Die Grünen sind auf vielen Feldern sogar linker positioniert als die Schweizer Sozialdemokraten (SP). Das will etwas heißen, denn die SP steht klar links von der SPD in Deutschland.

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