Großbritannien : Vergil und die neue „Wahrheit“ über die Einwanderung
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Die Sendung, die für Dienstagabend auf dem Programm stand, wirft einen ungewöhnlich kritischen Blick auf die Einwanderung – und stellt sich sogar der Frage, ob die BBC selbst zu lange einseitig Position bezogen hat. Konservative und Ukip-Anhänger werfen der Sendeanstalt seit Jahren vor, die Probleme der Einwanderung strukturell zu verharmlosen und ihre Vorzüge überzubetonen. Der angesehene BBC-Redakteur Nick Robinson, der die Fernsehdokumentation recherchiert hat, gestand am Wochenende ein, sein Sender habe die Sorgen in der Bevölkerung unterschlagen, weil befürchtet worden sei, sie könnten einen neuen Rassismus heraufbeschwören. Das sei „ein schlimmer Fehler“ gewesen.
Auch die Zahl der Einwanderer aus Indien, Pakistan und Bangladesh ist gestiegen
An die acht Millionen Menschen, die heute im Königreich leben, sind laut „Nationalem Statistikbüro“ im Ausland geboren worden. Mit einer Ausländerquote von mehr als zwölf Prozent rangiert Großbritannien mittlerweile im oberen Feld der EU – noch 1991 war sie nur halb so hoch gewesen. Allein seit dem Ende der neunziger Jahre haben sich Schätzungen zufolge bis zu vier Millionen Ausländer im Königreich legal oder illegal niedergelassen. Die größte Gruppe, etwa eine Million, sind Polen, die als gut integriert gelten und sich vor allem einen Ruf als gute Handwerker erworben haben, die britischen vorzuziehen seien. Rumänen und Bulgaren fallen bislang noch nicht so stark ins Gewicht. Laut „Nationalem Statistikbüro“ lebten im vergangenen Sommer 94.000 Rumänen und 470.00 Bulgaren in Großbritannien – zusammengenommen etwa so viele wie Italiener und deutlich weniger als Deutsche oder Franzosen.
Trotz hoher Hürden ist auch die Zahl der traditionell stärksten Einwanderergruppen aus Indien, Pakistan und Bangladesch gestiegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Verlust der meisten Kolonien waren Arbeitskräfte aus den Commonwealth-Regionen in Asien, Afrika und der Karibik gezielt angeworben worden. In den späten sechziger Jahren wuchs ihre Zahl dann so schnell, dass viele Briten unruhig wurden. Der Protest fand sich in einer Rede des populären konservativen Politikers Enoch Powell wieder, der 1968 in Anspielung auf Vergil vor „Strömen von Blut“ warnte und feststellte, dass die ungebremste Einwanderung die britischen Wohnviertel auf eine Weise verändert hätten, dass sie nicht wiederzuerkennen seien.
Erinnerung an Powell
Heute erinnert man sich wieder Powells historisch gewordener „River of Blood“- Rede, auch weil ihre Konsequenzen vertraut wirken. Aus Sorge vor einer Verstärkung der Ausländerfeindlichkeit war Powell umgehend aus dem Schattenkabinett von Edward Heath entlassen worden. Mehr als 100.000 unterstützende Briefe aus der Bevölkerung änderten nichts daran, dass seine politische Karriere am Ende war. Nur vier Jahre später schränkte die Regierung dann den Zuzug aus den Commonwealth-Staaten drastisch ein.
Am Wochenende wurde Nigel Farage in einer Fernsehshow mit Passagen aus Powells Birminghamer Rede konfrontiert und stimmte ihnen zu, ohne die Quelle zu kennen. Als er erfuhr, dass er soeben Powells unrühmliche Worte abgenickt hatte, ging er in die Offensive: „Das Warnen vor einem Zustrom vieler Menschen, der ein Gebiet bis zur Unkenntlichkeit verändern kann, und dass dies Spannungen hervorruft – in den Grundprinzipien hat er recht.“ 17 Prozent der Briten würden Nigel Farage und seine Ukip derzeit ins Unterhaus wählen – viele von ihnen haben ihr Kreuz laut Umfragen zuletzt bei den Konservativen gemacht.