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Wende in der Steuerpolitik : Kwarteng entlassen – Hunt wird britischer Finanzminister

Kwasi Kwarteng und Liz Truss im Oktober Bild: AFP

Nach nur 38 Tagen muss der britische Finanzminister Kwasi Kwarteng seinen Posten räumen. Die neue Premierministerin muss ihre Steuerpolitik revidieren – und befördert einen Rivalen ins Schatzamt.

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          Wenn Verbündete versichern, ein Minister genieße das „totale Vertrauen“ der Premierministerin, ist das meist der Anfang vom Ende. Kurz nachdem der Staatssekretär im Handelsministerium, Greg Hands, Schatzkanzler Kwasi Kwarteng für sakrosankt erklärt hatte, wurde er von Liz Truss entlassen und mit dem früheren Außenminister Jeremy Hunt ersetzt.  Truss sagte am Freitag,  dies werde „wirtschaftliche Stabilität“ zurückbringen, aber viele sehen dieses Ziel nur noch erreicht, wenn Truss selbst geht.  

          Jochen Buchsteiner
          Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Der Austausch an der Spitze des wichtigsten Ministeriums ist ein Paukenschlag, nicht nur weil Kwarteng erst fünf Wochen im Amt war. Er hatte Truss’ Vision vom kleinen Staat verkörpert und ihre Politik mit ihrem Einverständnis umgesetzt. Truss hob hervor, dass es ihre „Mission“ bleibe, Großbritannien zu einem Land mit niedrigen Steuern und hohem Wachstum  zu machen. Aber mit Kwartengs Haushaltsrede sei man „schneller und weiter gegangen, als die Märkte das erwartet haben“. Deshalb habe sie „im nationalen Interesse entschieden handeln müssen“.  

          Die von Kwarteng ausgelösten Turbulenzen sind längst zur Krise der ganzen Regierung geworden. In Westminster wird mittlerweile lebhaft über deren Sturz debattiert.  Obwohl die Regierung zuletzt Protesten  stattgegeben und die Senkung des Spitzensteuersatzes zurückgenommen hat, blieb sie in der Defensive. Am Freitag strich Truss nun auch  die angekündigte Rücknahme der Unternehmensteuererhöhung aus dem Programm. Bald bleibe vom Wachstumsplan der Regierung „so gut wie nichts mehr übrig“, wurde ein Tory zitiert. 

          Viele Tories glauben, dass nicht einmal ein neuer Schatzkanzler  der Premierministerin die Haut retten kann. Sie wollen Truss möglichst schnell ablösen und den fünften Tory-Premierminister in sechseinhalb Jahren ins Amt bringen. Noch vor zehn Tagen, auf dem Parteitag in Birmingham, schienen die Putschisten in der Minderheit. Auf jeden, der hinter den Kulissen den Sturz der neuen Premierministerin propagierte, kamen zwei, die  warnten, dass die Tories als Lachnummer enden, sollte die Siegerin eines monatelangen Auswahlverfahrens so früh demontiert werden. 

          Mittlerweile sprechen fast nur noch Kabinettsmitglieder, die um ihren Posten fürchten, vom „Irrsinn“ eines Führungswechsels. Die meisten Abgeordneten scheinen sich auf zwei Lager verteilt zu haben. Das eine will abwarten, ob der für Ende des Monats erwartete „Mittelfristige Finanzplan“ die Stimmung noch  drehen kann. Das andere Lager möchte gleich zur Tat schreiten. 

          Wenig Sympathien werden dabei einem weiteren „leadership contest“ unter Beteiligung der Parteimitglieder entgegengebracht, der die Tories abermals in eine Zerreißprobe führen würde. Erörtert wird stattdessen ein Fraktionsputsch, bei dem Truss durch einen Konsenskandidaten ersetzt würde. Im für derartige Manöver zuständigen „1922-Komitee“ heißt es, eine Misstrauensabstimmung könne nach den Statuten nicht vor September 2023 stattfinden. Aber Statuten, heißt es auch, können geändert werden. Die Hauptfrage ist eine andere: Wer könnte der Kandidat sein? 

          Dass Boris Johnson noch zu Ehren kommt, ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Die Erinnerungen an die heftigen Debatten um seinen Abgang sind noch frisch, auch erwartet ihn noch ein Untersuchungsausschuss. Zudem steckt Johnson angeblich in finanziellen Nöten und will eine Weile lang Geld als Redner verdienen. Sein letzter Auftritt in Amerika soll mit etwa 130.000 Euro vergütet worden sein. Über Weggefährten hat er Spekulationen über eine Rückkehr ins Amt einstweilen zerstreuen lassen.

          Laut Zeitungsberichten sondieren Abgeordnete, ob sich Truss’ Widersacher Rishi Sunak zur Verfügung stellen würde. Im Gespräch ist angeblich, auch Penny Mordaunt ins Boot zu holen, die bei den Nachfolgewahlen in der Fraktion auf den dritten Platz kam. Wer dann von beiden Premierminister und wer Schatzkanzler würde, ist ebenso offen wie die Frage, ob sie überhaupt bereit wären.

          Diese Frage würde sich wohl auch Verteidigungsminister Ben Wallace stellen, der schon bei der Johnson-Nachfolge auf eine Kandidatur verzichtet hatte, obwohl ihm Chancen zugetraut worden waren. Damals führte die Labour Party in den Umfragen mit sieben Prozentpunkten vor den Konservativen, jetzt sind es bis zu 30 Prozentpunkte.

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