Gipfeltreffen in Chicago : Nato stellt nationale Einsatzvorbehalte in Frage
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Die Weltenlenker: Nato-Gipfel in Chicago Bild: dpa
Die Nato will über nationale Einsatzvorbehalte diskutieren - um zu verhindern, dass einzelne Verbündete den Zugriff auf gemeinsame Waffensysteme verhindern. Das neue Raketenabwehrsystem für Europa ist indes teilweise einsatzbereit.
Die Nato stellt einen ihrer politisch heikelsten Grundsätze in Frage: Sie will eine Diskussion über nationale Einsatzvorbehalte beginnen, um zu verhindern, dass bei Auslandseinsätzen einzelne Verbündete den Zugriff auf gemeinsam genutzte Waffensysteme und Einheiten blockieren können. Auf einem Gipfeltreffen in Chicago, das am Sonntag begann, wollten die Staats- und Regierungschefs der 28 Verbündeten entsprechende Beratungen in den Gremien der Nato in Auftrag geben.
In Deutschland könnte das zu einer Schwächung des Bundestagsvorbehalts bei Auslandseinsätzen führen. Die Bundesregierung ist dem Vernehmen nach der Meinung, dass über das deutsche Parlamentsbeteiligungsgesetz nachgedacht werden muss. Am ersten Tag des Chicagoer Gipfeltreffens, das an diesem Montag endet, wollte das Bündnis außerdem eine erste Einsatzbereitschaft seiner Raketenabwehr für Europa verkünden und eine Debatte beginnen, wie die dort verbliebenen amerikanischen Atomwaffen abgezogen werden könnten.
Bei Bedarf verlässlich zur Verfügung
Diplomaten berichteten, dass über nationale Einsatzvorbehalte vor allem deshalb geredet werden solle, weil die Nato wegen der finanziellen Engpässe ihrer Mitglieder in Zukunft immer mehr Waffensysteme gemeinsam nutzen will. In Chicago wollte das Bündnis dazu mehrere neue Projekte beschließen, an denen auch Deutschland beteiligt ist. So sollten am Sonntag Verträge über den Kauf einer gemeinsamen Bodenüberwachung (“Alliance Ground Surveillance“) unterzeichnet werden, an der 14 Nato-Staaten beteiligt sind, sowie über die gemeinsame Nutzung von Seefernaufklärern, an denen fünf Verbündete mitwirken. Schon seit längerem gibt es die gemeinsame Luftraumüberwachung der Nato (Awacs), bei der viele deutsche Soldaten eingesetzt sind, und eine Zusammenarbeit beim Lufttransport. Ein Ausschuss der Nato soll erörtern, welche Modelle vorstellbar sind, damit diese Waffensysteme dem Bündnis bei Bedarf verlässlich zur Verfügung stehen.
In der Bundesregierung gibt es schon seit längerem Überlegungen, wie deutsche Truppenteile, die in multinationalen Verbänden Dienst tun, an Einsätzen der Nato teilnehmen können, ohne dass eine Befassung des Bundestags nötig wäre.
Als mögliches Modell gilt Berlins Vorgehen während des Luftkrieges gegen das Gaddafi-Regime in Libyen. Obwohl sich Deutschland nicht an dem Krieg beteiligte, beließ die Regierung die dauerhaft zur Nato entsandten deutschen Offiziere in den Stäben des Bündnisses, ohne den Bundestag um Zustimmung zu fragen. Parlamentsvorbehalte gebe es aber bei etlichen Verbündeten, sagten Diplomaten. In den Vorgesprächen habe sich auch gezeigt, dass einige Alliierte großen Wert auf nationale Eigenständigkeit legten. Traditionell gehört Frankreich zu diesen Ländern.