Frühere Präsidenten : Ghani flieht, Karzai verhandelt
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Hamid Karzai am 15. Juli in seinem Büro im Regierungsviertel in Kabul Bild: Daniel Pilar
Afghanistans gestürzter Präsident Aschraf Ghani lamentiert im Exil in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Sein Vorgänger Hamid Karzai spricht unterdessen mit den Taliban über die politische Zukunft des Landes.
Zwei Präsidenten hatte die Islamische Republik Afghanistan, die nach dem Ende der ersten Taliban-Herrschaft 2001 gegründet worden war und die am Sonntag unter dem Ansturm derselben Taliban untergegangen ist. Der eine sitzt seither im Exil in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der andere verhandelt mit den neuen Herrschern in Kabul über die politische Zukunft des Landes. Hamid Karzai heißt Letzterer, Aschraf Ghani Ersterer. Die Geschichte der beiden Männer und der anhaltenden Rivalität zwischen ihnen wirft ein Schlaglicht auf die Konflikte und Ränkespiele, welche die afghanische Politik charakterisierten und die Führung des Landes mitunter lähmten – was den Siegeszug der Taliban begünstigte.
Ghani schien etwas Selbstkritik zuzulassen, als er in einer am Mittwochabend veröffentlichten Videoansprache sagte, die Machtübernahme durch die Taliban sei ein Versagen der Politik gewesen, nicht der Armee. Er machte jedoch in erster Linie den Friedensprozess dafür verantwortlich, der seiner Regierung von den Vereinigten Staaten aufgezwungen worden war. Dieser sei in Wahrheit ein „Kriegsprozess“ gewesen, so Ghani, und er habe nicht den Willen des Volkes widergespiegelt. Der seit 2014 amtierende Ghani hatte von Beginn an damit gehadert, dass die Regierung von Präsident Donald Trump seit 2018 mit den Taliban Gespräche führte, ohne dass er daran beteiligt gewesen wäre. Immer wieder wurde der Regierung in Kabul vom amerikanischen Verbündeten vor vollendete Tatsachen gestellt – bis hin zu Joe Bidens plötzlicher Abzugsentscheidung im April.
Sturm der Entrüstung
Dennoch ist Ghani einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt, seit er am Sonntag Hals über Kopf das Land verlassen hat. Ursprünglich sollte der Präsident nach Doha reisen, um mit den Taliban über eine Machtübergabe zu verhandeln. Saad Mohseni, der Besitzer des Fernsehsenders Tolo, nannte Ghani daraufhin einen Feigling und sagte, die Menschen würden „noch hundert Jahre lang auf sein Grab spucken“. Einer der Minister sprach von Verrat.
Sogar Donald Trump äußerte sich: „Offen gestanden, ich habe nie viel Vertrauen in Ghani gehabt“, sagte der frühere amerikanische Präsident im Sender Fox News. In seinen Augen sei der „ein totaler Betrüger“ gewesen. Der afghanische Botschafter in Tadschikistan verbreitete – möglicherweise auf der Basis russischer Berichte –, der Präsident habe mehr als 160 Millionen Dollar mit sich geführt. Seither gibt es in sozialen Medien die Forderung, Interpol solle Ghani festnehmen. Der wies die Anschuldigung in dem Video zurück. Vielmehr habe er nicht einmal ordentliche Schuhe mitnehmen können, so schnell sei alles gegangen.
Während der 72 Jahre alte Ghani den Tiefpunkt seiner Karriere erlebte, arbeitete der elf Jahre jüngere Hamid Karzai in den vergangenen Tagen daran, seine wieder in Gang zu bringen – mit noch ungewissem Ausgang. Schon am Sonntagabend hatte der Präsident der Jahre 2001 bis 2014 die Gründung eines Koordinierungsrates verkündet, der mit den Taliban sprechen sollte. Neben ihm selbst gehören dem Gremium der Politiker und Warlord Gulbuddin Hekmatyar sowie Abdullah Abdullah an, der lange Zeit mit Ghani um die Macht konkurriert hatte und als politischer Verbündeter Karzais gilt. Abdullah war es auch, der Ghani nach dessen Flucht in einem Facebook-Video ein paar unfreundliche Worte hinterherrief („Gott sollte ihn zur Rechenschaft ziehen“), während Karzai sich öffentlich nicht äußerte.