Das Gespenst des großen Führers
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Denkmal für einen Tyrannen: Das Stalin-Museum in Gori Bild: Picture Alliance
Georgien strebt nach Westen. Eine deutliche Mehrheit seiner Bürger will in die EU und die NATO. Aber gleichzeitig steht Stalin noch immer hoch im Ansehen. Wie passt das zusammen?
Zwischen einer roten Plastikrutsche und der Statue eines sowjetischen Soldaten auf giftgrün gestrichenem Sockel – einem Denkmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs – steht auf einem Metallpfahl eine kleine bronzene Büste Stalins. Gleich neben dem Kriegerdenkmal befindet sich unter einer Tanne ein überdachter Tisch mit zwei Bänken, auf dem ein abgenutztes Backgammon-Brett liegt. Wenn es wieder wärmer wird, treffens sich hier abends die Einwohner von Muchrani, um zu plaudern, zu spielen und etwas zu trinken. Stalin steht dann mitten im Leben – auf Augenhöhe mit den kleinen Kindern, die rings um die Rutsche toben.
In den Herrschaftsjahren Stalins wäre es in der Sowjetunion lebensgefährlich gewesen, so ein Denkmal zu errichten. Damals musste Stalin alles und jeden überragen und überstrahlen. Nach ihm wurden Städte benannt, in allen Städten trugen die größten Straßen und Plätze seinen Namen. Er wurde als „großer Führer“ der Sowjetunion verehrt, als „Vater der Völker“ und „großer Lehrer“. Zitate des „genialen Gelehrten“ schmückten Werke aller wissenschaftlichen Fachrichtungen, Dichter schrieben ihm übernatürliche Kräfte zu. Menschen verschwanden für Jahre in sibirischen Straflagern, nur weil sie bei der Erwähnung von Stalins Namen nicht enthusiastisch genug Beifall geklatscht hatten.
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