
Gaza-Konflikt : Israel braucht seine Nachbarn
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Bombardierung von Schmuggeltunneln an der Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen am Montag Bild: dapd
Nur eine starke Hamas kann dafür sorgen, dass eine Waffenruhe hält, denn anderenfalls übernähmen noch radikalere Kräfte die Führung im Gazastreifen. Doch die Hamas verliert an Boden - nicht nur wegen der israelischen Offensive.
Der Amtssitz des Ministerpräsidenten der Hamas ist ein Trümmerhaufen, und der wichtigste Militärführer der islamistischen Organisation liegt in einem Ehrengrab beigesetzt. Von den gut gefüllten Raketenarsenalen der Hamas und ihrer Verbündeten ist wenig übriggeblieben. Israel hat den bewaffneten Islamisten im Gazastreifen einen schweren Schlag versetzt. Doch so hart, dass die Hamas verzweifelt um eine Waffenruhe bittet, war er nicht.
Mit jedem Tag, an dem die Gewalt andauert, wächst die Gefahr, dass die Kämpfe eine eigene Dynamik entfalten, die sich nur noch schwer stoppen lässt: Jetzt ließ der Tod einer elfköpfigen Familie in Gaza die Rufe nach Vergeltung zunehmen. Auf einen ähnlich verlustreichen Raketentreffer in Israel würde die Armee massiv reagieren, möglicherweise mit einen Offensive am Boden.
Zögern vor dem Enthauptungsschlag
Ein weiteres Mal scheint die israelische Führung davor zurückzuschrecken, in Gaza gegen die Hamas zum Enthauptungsschlag auszuholen. Die Militäroffensive „Gegossenes Blei“ zeigte schon vor vier Jahren, dass auch ein Einmarsch nicht das Ende der Hamas bedeuten muss. Damals zogen die Soldaten nach zwei Wochen wieder ab: Die Erfahrung von 2008/2009 hat gelehrt, dass die Hamas nicht vernichtend zu schlagen ist, ohne große Teile Gazas wieder zu besetzen.
Wenn die Waffen schweigen, wird man sehen, wie stark die Hamas geschwächt ist - und wie sehr ihre islamistischen Herausforderer aus dem Islamischen Dschihad und den Salafistengruppen dieses Vakuum für sich nutzen. Es klingt aus israelischer Sicht paradox. Aber nur eine relativ starke Hamas wird in der Lage sein, dafür zu sorgen, dass die Waffenruhe hält, mit der auch früher oder später diese Runde der Gewalt zu Ende gehen wird. Andernfalls könnte im Süden Israels ein neues Somalia drohen.
Verärgerung über Hamas in Kairo
Das Überleben wird dieses Mal nicht einfach für die Hamas. Sie unterhält zwar enge Beziehungen zur neuen ägyptischen Regierung unter Präsident Mursi. Aber in Kairo war man darüber verärgert, dass der bewaffnete Arm der Hamas zuletzt immer aggressiver gegen die israelische Armee vorgegangen war und damit auch den Überraschungsschlag vom vergangenen Mittwoch provozierte. Auf Iran kann die Hamas nicht mehr bauen. Vor vier Jahren half Teheran nach dem Krieg großzügig beim Wiederaufbau. Heute unterstützt Iran lieber den Islamischen Dschihad, der kompromissloser gegen Israel kämpft.
Aber die Hamas hat bisher keineswegs nur verloren. Sie konnte zum Beispiel im Westjordanland wieder Boden gutmachen. In Ramallah waren auf einer Solidaritätskundgebung mit der Bevölkerung in Gaza mehr grüne Fahnen der Hamas als gelbe Flaggen der Fatah-Organisation von Präsident Abbas zu sehen. Arabische Politiker pilgerten nach Gaza-Stadt, während Abbas in Ramallah niemand sprechen wollte. Damit setzt sich eine bedenkliche Entwicklung fort: Abbas wird an den Rand gedrängt und die internationale Gemeinschaft wendet sich immer stärker an die Hamas.
Testlauf in den UN
Israel läuft dadurch Gefahr, den letzten Palästinenserführer zu verlieren, der noch über einen Frieden verhandeln will - die Hamas ist dazu nicht bereit. An seiner Demontage wirkt auch die israelische Regierung mit. Außenminister Lieberman erklärte den Präsidenten zum „politischen Terroristen“, der gestürzt werden müsse, weil er am 29. November bei den UN beantragen will, die Palästinenser zu einem Beobachterstaat aufzuwerten.
Die Abstimmung der UN-Vollversammlung wird zu einem Testlauf dafür, auf wie viel internationale Unterstützung Israel noch bauen kann. Europäer und Amerikaner hatten bisher betont, dass Israel das Recht habe, sich gegen Angriffe auf Zivilisten zu verteidigen. Die Kritik an Israel fiel bisher verhalten aus, weil 2012 deutlich weniger Opfer unter der palästinensischen Bevölkerung zu beklagen waren, als im Krieg vor vier Jahren mit mehr als tausend Toten. Die jüngsten Bilder getöteter Frauen und Kinder aus Gaza werden nicht dazu beitragen, dass Israel neue Freunde gewinnt und behält, die es dringend braucht.
Bedrohungen wachsen ringsum
Die Beziehungen zu Ägypten, dem ersten arabischen Land, mit dem Israel Frieden geschlossen hat, haben einen Tiefpunkt erreicht. Präsident Mursi hat den ägyptischen Botschafter aus Tel Aviv zurückgerufen. In Jordanien, mit dem Israel auch einen Friedensvertrag geschlossen hat, wird mittlerweile für die Abdankung von König Abdullah demonstriert. Mit Jordanien, wo die Muslimbrüder die stärkste Kraft sind, teilt Israel seine längste Landgrenze. Auf den Golan-Höhen dauert der Beschuss aus Syrien an, obwohl die israelische Armee mittlerweile zurückschießt. Und in Iran gehen die Arbeiten an dem Atomprogramm weiter.
Israel hat in den vergangenen Tagen mit seiner Raketenabwehr eindrucksvoll seine technologische Überlegenheit demonstriert. Die Raketen gelangten zwar bis nach Tel Aviv, konnten aber rechtzeitig unschädlich gemacht werden. Die bis dahin besonders gefürchteten Mittelstreckenraketen, wie sie auch die Hizbullah-Miliz im Libanon besitzt, haben viel von ihrem Bedrohungspotential verloren. Doch dieser Vorsprung wird auf längere Sicht nicht ausreichen, die Sicherheit des Landes zu garantieren. Dafür sind belastbare Beziehungen zu den Nachbarn nötig. Die aber rücken in immer weitere Ferne.