Fußball in Polen : Die Mannschaft, die aus der Tiefe kam
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Lech Walesa 1983 auf der Tribüne im Danziger Stadion beim Spiel gegen Juventus Turin - Danzig verlor 2:3, aber die Niederlage im Europapokal war politisch ein glänzender Sieg Bild: ddp images/LASKI/SIPA
Ohne Fußball wäre die Revolution in Polen anders verlaufen. Noch heute spielt Donald Tusk so aggressiv wie eh und je, Jan Krzysztof Bielecki hält ihm als Libero den Rücken frei, und rechter Verteidiger ist der liberale Janusz Lewandowski.
Und dann sieht man ihn spurten. Als hätte er auf die Sekunde gewartet, ansatzlos aus der Tiefe, einer dieser blitzartigen Konter, einer von diesen Sprints, wie damals, wenn die Miliz ihnen die Gasgranaten ins Gesicht schoss, und nur noch Rennen half. Zwanzig Meter. Der Torwart grätscht rein, ein Sprung, ein letzter Gegner läuft ins Leere, drei Meter, Schuss, Tor: Donald Tusk, der Ministerpräsident Polens, schlägt die Faust in die Luft.
Montag, der 28. Mai, Tag elf vor dem Warschauer Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft. Die Mannschaft des polnischen Parlaments hat in Rom gegen die Auswahl der italienischen Volksvertretung gespielt. Am Ende stand es sieben zu zwei für die Polen, Tusk schoss zwei Tore.
Die Stürmerleidenschaft des Regierungschefs ist mehr als nur ein Spleen. Fußball nämlich hat in der neueren Geschichte Polens, in seinem Kampf gegen die Diktatur und dann im Ringen um eine stabile Demokratie eine diskrete, aber wichtige Rolle gespielt. Ein Blick auf das Team von Rom verrät, was damit gemeint ist. Den Kern der polnischen Mannschaft bildete eine kleine Gruppe reiferer Herren mit einer speziellen Gemeinsamkeit: Sie haben Wurzeln im antikommunistischen Widerstand der achtziger Jahre. Tusk war damals bei einer Untergrundzeitung, aber auch andere, die in Rom auf dem Platz standen, waren dabei: Grzegorz Schetyna, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, leitete einen Studentenstreik in Breslau, der Abgeordnete Antoni Mezydlo war bei den Gewerkschaften im Untergrund, die im August 1980 unter der Führung Lech Walesas die Danziger Lenin-Werft besetzten.
Zwei Strömungen
Dass diese Männer heute zusammen Fußball spielen, hat Gründe. Fußball und Widerstand nämlich waren eng verwoben in dieser Generation, und genau genommen war selbst der historische Danziger Streik vom 14. August 1980, Beginn der „Solidarnosc“ und Anfang vom Ende des sowjetischen Weltsystems, gewissermaßen die Fortsetzung eines Fußballspiels. Kurz bevor nämlich die Arbeiter in den Ausstand gingen, hatte es auf einer Danziger Wiese ein bemerkenswertes Match gegeben. Einige Spieler trugen selbstgenähte Trikots mit den damals noch rätselhaften Initialen „WZZW“ für „Freie Gewerkschaften an der Küste“, auf anderen Hemden prangte das Wort „Korniki“, eine Ableitung von „KOR“ dem Kürzel des oppositionellen „Komitees zur Verteidigung der Arbeiter“.
Die beiden Mannschaften auf dem Platz repräsentierten zwei getrennte Strömungen des Untergrunds: hier die proletarisch geprägten Gewerkschaften, dort die Studenten der patriotisch-konservativen „Bewegung Junges Polen“. Die Gewerkschafter haben damals verloren, obwohl in ihrem Tor ein Weltstar stand: der arbeitslose Werftelektriker Lech Walesa, der wenige Wochen später als Streikführer zu Weltruhm gelangen sollte.
Spiele wie dieses waren wichtig für den Danziger Untergrund. Die Ostseemetropole mit ihrer Schwerindustrie, aber auch mit ihrer herrlichen Altstadt aus Renaissance und Backsteingotik, war damals im Begriff, das Zentrum der Opposition in Osteuropa zu werden. Walesa hat hier seinen Kampf begonnen, aber auch junge Intellektuelle und Dissidenten wie die späteren Premierminister Jan Krzysztof Bielecki und Donald Tusk oder der heutige EU-Kommissar für Finanzfragen Janusz Lewandowski.