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Von Minsk bis Washington : Frauenpower gegen giftige Männlichkeit

  • -Aktualisiert am

Widerstand gegen ein brutales Regime: Eine Demonstrantin in Minsk umarmt ein maskiertes Mitglied von Lukaschenkas Sicherheitskräften. Bild: Reuters

In Minsk wird auch um politische Evolution gekämpft – mit Frauen hat Diktator Lukaschenka nicht als Gefahr gerechnet. Aber auch anderswo regiert giftige Männlichkeit.

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          Frauen sind es, die dem letzten Diktator Europas gefährlich werden. Mit ihren Aufrufen zu friedlichen Protesten gegen die Fälschung der Präsidentenwahl haben Swetlana Tichanowskaja, Veronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa den belarussischen Machthaber Lukaschenka erstmals während seiner 26 Jahre dauernden Herrschaft zumindest in Bedrängnis gebracht, wenn auch (noch) nicht gestürzt. Der Autokrat hatte die Wirkung der gewaltlos und dennoch unbeugsam vorgetragenen Widerstandsbotschaft auf das von ihm verachtete Volk unterschätzt.

          Frauen als ernstzunehmender politischer Faktor, gar mit dem Anspruch, seinen Platz einzunehmen, sind für den Macho-Herrscher in Minsk unvorstellbar. Dass Lukaschenka zwei der Oppositionspolitikerinnen außer Landes bringen und die dritte einsperren ließ, während seine brutale Polizeischlägertruppe inzwischen dazu übergeht, Demonstrantinnen niederzuknüppeln, zeigt aller Welt seine Wut über die Auflehnung gerade der Frauen gegen ein verfaultes Regime.

          Lukaschenka ist nicht der einzige Autokrat oder chauvinistisch agierende Regierungschef, der mit misogynem Verhalten und Äußerungen seiner Geringschätzung politisch engagierter Frauen freien Lauf lässt. Es gehört zu den Herrschaftsinstrumenten dieser Männer, die mit der Inszenierung ihrer scheinbar unverwundbaren Männlichkeit ihre Gegner(innen) beeindrucken und einschüchtern wollen. Lukaschenka ist unter ihnen derzeit der brutalste.

          Frustrierte Wut-Männer

          Der vor seiner Covid-19-Erkrankung im Präsidentschaftswahlkampf als Frauenförderer schauspielernde Donald Trump zielte schon vor vier Jahren mit sexistisch gefärbten Tweets und Reden über Hillary Clinton erfolgreich auf die Ressentiments und die Ängste seiner männlichen weißen Wähler aus fragilen wirtschaftlichen Verhältnissen. Von diesen frustrierten Wut-Männern wurde Clinton auch durch eigenes Zutun als Teil einer abgehobenen, liberalen, reichen Ostküsten-Elite wahrgenommen: als eine selbstbewusste Feministin, die ihre intellektuelle Überlegenheit gegenüber Trumps Anhängern ohne Hochschulabschluss zeigte. Ihre arrogante Bemerkung über die „Bedauernswerten“ verschaffte Trumps Kampagne erst den entscheidenden Schub. Seine eigene sexuell übergriffige, auch auf Band dokumentierte Vergangenheit als Boss, der sich nimmt, was ihm gefällt, schadete ihm nicht bei seinen männlichen Fans – und auch nicht bei deren Ehefrauen.

          Auffällig verbreitet in dieser Liga von Staatschefs – demokratisch gewählt oder erst danach zu Autokraten geworden – ist auch die Bereitschaft zur Anwendung staatlicher Gewalt gegen politische Gegner und die Selbstdarstellung als militärisch starke Männer. Von Trump, wie man durch die Enthüllungsbücher von Bolton und Woodward weiß, werden autoritäre und dazu noch cholerische Anführer wie Erdogan oder Bolsonaro als Brüder im Geiste respektiert. Einen bewundert und beneidet er sogar wegen seiner nahezu unbeschränkten Macht: Wladimir Putin, der seine Interessen in der Ukraine, auf der Krim, in Syrien und Libyen militärisch durchsetzt und Opposition im eigenen Land durch Wahlmanipulation, willkürliche Verhaftungen und mörderische Geheimdienstgewalt brechen lässt.

          In der Corona-Krise setzten sich Putin und Trump wie in einem Action-Blockbuster als vom Virus unbesiegte Zaren und Cäsaren ins Bild. Ihrem Volk suggeriert besonders Trump, die Pandemie wie ein Superheld im Griff zu haben, und ruft die Amerikaner zur maskenlosen Unvorsicht auf.

          Merkel ist das Gegenmodell

          Den größtmöglichen Gegensatz zu so viel giftiger Männlichkeit bildet Angela Merkel mit ihrem uneitlen, auf Imponiergehabe und Risiko verzichtenden Politikstil. Ein Stil, der sich für Deutschland in der Corona-Pandemie bisher als ein von anderen Staaten beneideter Vorteil erwiesen hat. Aber hierzulande sind Politikerinnen und auch in gesellschaftspolitischen Debatten engagierte Frauen wie in anderen Staaten meist in den sozialen Medien ebenfalls Hass, sexistischen Schmähungen bis hin zu Morddrohungen durch Männer ausgesetzt. Das Messerattentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker vor fünf Jahren war ein grausamer Höhepunkt dieses Hasses.

          Dass seit Monaten rechtsextreme Drohmails vor allem an politisch engagierte Frauen verschickt werden, dürfte ebenfalls kein Zufall sein. Wer sich als Autorin, Anwältin oder Politikerin etwa bei Debatten über Rassismus, Flüchtlinge oder Einwanderung öffentlich exponiert, zieht besonders im Netz deutlich mehr rechtsextrem gefärbten Hass und sexuell konnotierte Schmähungen auf sich als männliche Engagierte. Jüngstes Beispiel: die Entgleisung eines Publizisten in einem Internetmedium gegenüber der Berliner SPD-Politikerin Chebli. Nicht alle Opfer können, wie hier, mit rascher Solidarisierung rechnen.

          Wenn die mutigen Frauen von Belarus zusammen mit ihren Männern und Söhnen ein brutales Regime zu Fall bringen sollten, wäre das ein hoffnungsvolles Signal für andere: Dass solche Steinzeitmodelle männlicher Herrschaft in der politischen Evolution zum Aussterben verurteilt sind.

          Thomas Holl
          Redakteur in der Politik.

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